: "Unerträglich feudale Strukturen"
■ Im Künstlerhaus Bethanien findet eine Werkstatt zu "Brecht Beckett Müller" statt. Einer der beteiligten Regisseure ist der gebürtige Bulgare Ivan Stanev. Ein Gespräch über Zensur, Stagnation, Sozialismus,
Mit „Die Wunde Woyzeck – Bildbeschreibung“ nach Büchner/ Müller, ein Gastspiel vom Staatstheater Sofia, gab der Regisseur Ivan Stanev 1988 sein gefeiertes Debüt in Berlin. Seither zeigt der 39jährige gebürtige Bulgare seine Inszenierungen, die trotz ihrer geradezu überzeichneten Symbolik rätselhaft schillern, am Hebbel-Theater und am Podewil. Abgesehen von einer Inszenierung von Tschechows „Möwe“ 1995 an der Volksbühne, fand er den Weg in die großen Häuser nicht.
taz: Der Henschel-Verlag hat Ihnen verboten, in Ihrer neuen Inszenierung „Good night, Ladies“ aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“ zu zitieren. Warum?
Ivan Stanev: Angeblich hat Müller vor seinem Tod gebeten, daß man sein Werk als Ganzes aufführt. Deshalb darf ich die Ophelia-Passagen nicht verwenden. Mir erscheint das unangemessen und anmaßend. Müller war es immer wichtig, ein Werk als Fragment zu verwenden und zu zitieren. Er hat selbst so geschrieben.
Sie haben Texte von Heiner MÜller auch in frühere Stücke eingebaut. Warum gibt es gerade jetzt Schwierigkeiten?
Ich habe nur Vermutungen. Die Nachlaßverwalter haben wohl eine andere Vorstellung, wie Müller zu behandeln ist – ähnlich wie bei Brecht. Aber ich habe überhaupt keine Lust, mich mit diesem Verbot auseinanderzusetzen, zumal ich aus einem Land komme, wo ständig Berufsverbote ausgesprochen wurden. Wenn Müller verboten ist, machen wir Shakespeare.
Es geht um die Deutung, daß es für Ophelia unmöglich ist, sich an den politischen Kulissenkämpfen zu beteiligen. Aus ihrer Sicht gibt es das Stück „Hamlet“ gar nicht. Sie wird verlassen, wird wahnsinnig und ertrinkt. Das ist alles. Sie bekommt nichts mit. Wir gehen also weiter dieser Frage nach, was „Hamlet“ aus Ophelias Perspektive ist, was da für eine gefährliche Verbindung von Macht und Sexualität am Wirken ist, an der auch Hamlet selbst letztlich scheitert.
Sie arbeiten wieder mit der Schauspielerin Jeannette Spassova, mit der Sie aus Sofia nach Berlin kamen, und die heute unter anderem an der Volksbühne spielt. Sie dagegen konnten sich nicht etablieren.
Das liegt daran, daß ich auf Machtstrukturen sehr allergisch reagiere. Besonders in Deutschland besitzen die großen Theater eine unerträglich feudale Struktur. Die Hierarchien, das Geld, das dahinter steckt ... all das erzeugt für mich einen Alptraum.
Können Sie als unabhängiger Regisseur in der Off-Theaterszene besser arbeiten?
Nein, ich finde es schrecklich und wollte es nie machen.
An Ihrer Lage sind Sie aber auch selbst schuld. Sie zeichnen vom Kulturbetrieb insgesamt ein militärisches Feindbild. Die Intendanten sind Befehlshaber, die Kritiker Denunzianten und die Zuschauer „Soldaten der Tradition“. Der Zensurvorwurf sitzt bei Ihnen locker.
Ich mußte dieses Feindbild leider aufbauen! Man ist damals diesem völlig überstrukturierten stalinistischen Staat entkommen. Aber in Deutschland sah man dann diese Müdigkeit und Stagnation. Diese schreckliche Langeweile gekoppelt mit Spießigkeit, was die Künstler nicht mehr zu ändern versuchen. Man muß mit dem Kulturbetrieb im Stechschritt laufen.
Besteht für Sie ein Unterschied zwischen den Öffentlichkeitsstrukturen der Diktatur, wo Sie Berufsverbot hatten, und den demokratischen hier?
Eigentlich nur in der Form, nicht im Inhalt. Ich rede nicht über die Demokratie als Ganzes, nur über den Kulturbetrieb. Der Erfolgsdruck, die Leute zu unterhalten, ist enorm. Dadurch ist es fast zu einer wahnsinnig hochgeschaukelten Selbstzensur gekommen. Angeblich muß man das mitmachen, um zu überleben. Aber in den 80er Jahren dachte man in Rußland auch, das System wird ewig dauern. Dann ist alles zusammengebrochen, und es war lächerlich, daß Millionen von Menschen es einfach mitgemacht haben. Dort gab es auch diese merkwürdige Spießigkeit, seinen Fernseher zu verteidigen. Insofern war der Sozialismus gar nicht so schrecklich. Nur spießig.
Was ist Ihre künstlerische Bilanz der letzten zehn Jahre?
Ich bin enttäuscht, aber auch dankbar. Das wichtigste für mich war der Sprachwechsel (Stanev spricht und schreibt auf Deutsch, d.Red.) und daß ich den Begriff der nationalen Kultur überspringen konnte. Wenn man so viel herumreist und arbeitet, in Frankreich, Rußland und auch in Deutschland, begreift man, daß Theater so rückständig ist, weil es so national ist.
Sie nehmen überall nur Stagnation wahr, dabei passiert historisch doch so viel.
Es gibt viel Bewegungsfreiheit, aber gleichzeitig eben diese enorme Stagnation. Der einzelne existiert, aber nur, als wäre es ein Schatten seiner selbst.
Das erinnert mich wieder an das Geschichtsbild von Heiner Müller. Die Ironie könnte von ihm sein: Ausgerechnet in einer Werkstatt, die nach der Bedeutung von Müller, Brecht und Beckett am Ende des 20. Jahrhunderts fragt, wird Ihnen das ästhetische Verfahren untersagt, das sich aus seiner Stillstandserfahrung ableitet.
Das gehört für mich zum Bild der Stagnation dazu. Man geht jetzt mit seinen Texten um wie mit einer Todesanzeige.
Ist das nicht eher ein Fanal zum Comeback des kohärenten, romantischen Werkbegriffs?
Ja, so etwas spiegelt sich auch in einer Art neuem Fernsehtheater wider. Man will die Leute beobachten, wie sie essen, wie sie Geschichten erzählen. Man will einfache Verhältnisse. Aber ich kann diese kleinbürgerliche Sehnsucht nicht bedienen.
Wenn diese Sehnsucht zur dominanten Ästhetik wird, wofür derzeit einiges spricht, ist Müller out – und Sie auch.
Dann muß ich damit leben. Interview: Henrike Thomsen
„Good night, Ladies“, Regie: Ivan Stanev, bis Sonntag, 6. 12., 21 Uhr im Studio 1 des Künstlerhauses Bethanien. Die Werkstatt „Brecht Beckett Müller“ dauert noch bis zum 19. Dezember.
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