piwik no script img

Besessene Leser, süchtige Sammler

Das traditionelle Ladengeschäft ist für die meisten Antiquare nur noch Beiwerk. Die großen Geschäfte mit Bücher-Junkies wickeln sie längst über Kataloge und Internet ab  ■ Von Ralph Bollmann

Echte Stöberer sind selten geworden. Die meisten Kunden, die in den kleinen Laden an der Schönhauser Allee im Bezirk Prenzlauer Berg hereinschauen, suchen etwas Bestimmtes. Kaum ein Wunsch bringt Claudia Güntheroth wirklich in Verlegenheit. Selbst Jonathan Swifts Satire „Ein bescheidener Vorschlag, wie man verhindern kann, daß die Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen“ findet sie auf Anhieb. „Klettern Sie mal dort auf die Leiter“, rät sie dem Swift- süchtigen Studenten. Und tatsächlich: Auf dem Bord über der Tür steht eine dreibändige Werkausgabe des irischen Autors, zum Preis von 45 Mark. „Wenn Sie wollen, können Sie den Aufsatz im Copy-Shop um die Ecke kopieren.“ Gehört Güntheroth bei so viel Großzügigkeit zu den vielen Hungerleidern unter den Antiquaren?

Keinesfalls. Schließlich hat sie als eine der wenigen ihrer Kollegen eine Spezialausbildung im Antiquariatswesen absolviert, zu DDR-Zeiten an einer Fachschule in Leipzig. Sie verschickt Kataloge an Kunden im ganzen Bundesgebiet, bietet ihre Bücher im Internet an. Davon lebt sie, den Laden betrachtet sie als „nettes Beiwerk“, Referenz an die eigene „Eitelkeit“. Daß der kleine Geschäftsraum eher ästhetischen als kommerziellen Zwecken dient, sieht man ihm an. Ein Kronleuchter hängt von der Decke, im Nebenraum nehmen wuchtige Gründerzeitregale alte und seltene Bücher auf. Dort steht etwa August Gottlieb Richters „Abhandlung von den Brüchen“ von 1778, in helles Schweinsleder gebunden, für 400 Mark.

Es zeigt sich eben auch im Preis, daß sich alte naturwissenschaftliche oder medizinische Bücher gut verkaufen lassen. Wie alle Bücher, die einst in Kleinstauflagen erschienen: Bücher über Homosexualität oder Anarchismus ebenso wie Werke über Geflügelzucht oder Uhrmacherei. Der jeweilige Mainstream in Geschichte und Politik ist heute nichts mehr wert, auch Klassiker der Weltliteratur lassen sich kaum noch verkaufen – selbst Goethes „Ausgabe letzter Hand“ kostet kaum mehr als eine moderne Werkausgabe.

Teure Bücher gehen bei Claudia Güntheroth ohnehin nur selten über den Ladentisch. Kunst- und Kulturinteressierte gibt es im Umkreis ihres Ladens zuhauf, doch Geld haben nur die wenigsten. Im Notfall bietet Güntheroth auch Ratenzahlung an. „Ausschließlich mit hochpreisigen Büchern zu handeln“, sagt sie, „ist nicht mein Ding. Ich bin mir nicht zu schade, einen guten Text auch als Taschenbuch anzubieten.“

Kleinkunden gibt es auch bei Knut Ahnert im bürgerlichen Charlottenburg, aber mit Taschenbüchern oder einem eigenen Ladengeschäft gibt sich der Versandantiquar nicht ab. Seine Kunden bestellen per Katalog, auf Voranmeldung können sie ihn auch in seiner geräumigen Altbauwohnung besuchen, in einer ruhigen Seitenstraße des Kurfürstendamms. Denn auch in Zeiten des Internet will nicht jeder Bücherfreund vor dem Kauf auf den sinnlichen Eindruck verzichten.

An der Klingel verrät noch nichts den Antiquar, doch die vorderen Zimmer der Wohnung sind bis zur Decke mit Bücherregalen gefüllt. Der Besucher darf auf einem Designersessel Platz nehmen und bekommt auf einem Silbertablett Cappuccino, Wasser und Gebäck serviert. Stammkunden bleiben bis zum Abendessen. „Vom Briefträger bis zum Ministerpräsidenten“ reiche sein Kundenkreis, sagt Ahnert. Diskretion ist ein Vorzug bei der „Kombination von Wohnen und Arbeit“.

Schon als Schüler hatte Ahnert angefangen, mit Büchern zu handeln. „Antiquariate hatten eine Atmosphäre, die mich anzog“, sagt er. Danach hat er „lange ein bißchen studiert“ und nebenher den Handel ausgebaut. Statt umfangreicher Kataloge wie heute verschickte er zunächst kleine Listen, mit dem Ankauf von 500 Büchern fing er an. Heute ist er auch bei Mengenankäufen wählerisch. „Es gibt da furchtbar unästhetische Sachen“, sagt er nahezu beleidigt. Wenn der Vorbesitzer beispielsweise ein starker Raucher war, hätten auch die Bücher gelitten. Seine Branche, glaubt Ahnert, befriedige in erster Linie „ästhetische Bedürfnisse“. Es gebe aber auch „besessene Leser“ und schließlich „süchtige Sammler“, die Bücher einfach „um des Habens willen“ kauften.

Diese Erfahrung hat wohl schon jeder Antiquar gemacht. Volker Kunze, Inhaber des „Antiquariats an den Ceciliengärten“ im Literatenquartier Friedenau, weiß von einem Kunden zu berichten, der sämtliche Bücher kauft, die Abbildungen eines Schachspiels enthalten. Andere Sammler sind von Zoo-Führern oder Netzplänen der Berliner Verkehrsbetriebe abhängig. „Dem Außenstehenden“, sagt Kunze, „mag es verrückt vorkommen. Doch Kaufverhalten ist nie rational.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen