: Quietschbuntes Schlaraffenland
■ Der Kinderfilm des Monats: „Little Nemo“ von William T. Hurtz
Der Film mag erst acht Jahre alt sein, aber in „Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland“ leuchten die großen Knopfaugen und kräuseln sich die kleinen Stupsnasen so altertümlich, als sei Walt Disney höchstselbst noch am Leben. Kein Wunder: Nicht nur handelt es sich hier um eine amerikanisch-japanische Koproduktion, der man einen unguten Billig- Manga-Einfluß durchaus ansieht, Regisseur William T. Hurtz war auch mitverantwortlich für die Disney-Klassiker „Pinocchio“, „Fantasia“ und „Dumbo“, von denen zumindest die beiden letzteren die Jahrzehnte ebenfalls nicht sonderlich gut überstanden haben.
Daß „Little Nemo“, im Dezember der Berliner Kinderfilm des Monats, ursprünglich nicht als sehnsuchtsvolle Referenz an vergangene Zeiten geplant war, zeigen die Verpflichtungen von Science-Fiction-Autor Ray Bradbury, der das Konzept für das Drehbuch lieferte, und Comiczeichner Möbius. Der Franzose entwarf Zeichnungen und Story. Viel geholfen hat das nicht.
Die Comic-Vorlage „Little Nemo in Slumberland“ machte ihren Schöpfer Winsor McCay, der sie Anfang des Jahrhunderts in wöchentlichen Folgen für den New York Herald zeichnete, zum reichen Mann. 1908 entstand aus dem Stoff ein Broadway-Musical, kurz darauf einer der ersten Zeichentrickfilme der Filmhistorie, in den letzten Jahren wurden Originalzeichnungen von McCay schon mal für fünfstellige Beträge versteigert. Doch von den legendären Jugendstiltableaus des Originals hat Hurtz nur überbordenden Kitsch übriggelassen. Aus dem bei McCay eher schmalen Nemo ist nun ein zu groß geratenes Baby mit dicken Pausbacken geworden, das im sackähnlichen Strampelanzug durch ein quietschbuntes Schlaraffenland hüpfen muß.
Und die extrem gruseligen Szenarios, die Nemo in seinen Alpträumen durchlebt, durchbrechen die sonst immerhin gemütliche Retro-Stimmung so nachhaltig, daß der Film für kleine Kinder an vielen Stellen zu düster und beklemmend wird, während er älteren wahrscheinlich zu altbacken ist. Thomas Winkler
Bis 22.12. in täglich wechselnden Kinos, siehe cinema-taz
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