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Sex und Wahnsinn

Das Festival „Interfilm“ ist dem Kurzfilm gewidmet, einem Stiefkind der Filmindustrie. Fünf Filmen winkt ein Preis  ■ Von Cristina Nord

Kurzfilme schaffen es nicht oft ins Kino. Manchmal haben sie Glück und landen zwischen Werbeblock und Hauptfilm, manchmal erbarmt sich ein Programmkino dazu, eine Schiene zu zeigen. Beim „Interfilm“-Festival, das heute abend im Haus der Kulturen der Welt eröffnet wird, ist das anders. Hier steht der Kurzfilm unangefochten im Mittelpunkt. Damit bei 230 Beiträgen keine Beliebigkeit aufkommt, gibt es eine thematische Vorgabe. Die firmiert gewöhnlich unter klingendem Namen: „Science und Fiction“ lautete das Motto 1993, „Das Böse und der Trieb“ und „Mythen und Magie“ folgten. In diesem Jahr, in dem „Interfilm“ zum 14. Mal seit 1982 stattfindet, hat sich Festivalleiter Heinz Hermanns für „Sex und Wahnsinn“ entschieden. Das Thema sei naheliegend, wenn man an seine Allgegenwart in den Medien denke, sagt Hermanns; keine Talkshow vergehe, in der nicht auf irgendeine Art von Sexualität und Verrücktheit die Rede sei.

Insgesamt 90 Filme laufen in den zehn Wettbewerbsblöcken, fünf davon erwartet ein Preisgeld von je 10.000 Mark. Rahmenprogramme wie „eject – die lange Nacht des abwegigen Films“ oder ein Zusammenschnitt von Sexszenen aus amerikanischen Zeichentrickfilmen stillen das Bedürfnis nach Trash, zwei Seminare – das eine zum pornographischen, das andere zum Splatterfilm – widmen sich Hintergründen, Geschichte und Theorie.

Auch was die Wettbewerbsblöcke angeht, hat sich Hermanns um sehr unterschiedliche Perspektiven bemüht: „Eine möglichst große Bandbreite des Kurzfilms“ solle das Festival abdecken. Da ist der Blick des Kindes, das wie in Maja Weiss' fünfzehnminütigem „Adrian“ mit Befremden und Eifersucht auf die Balzrituale der Erwachsenen schaut. Oder – wie in Gunnar Vikenes „Big Boobies“ – voller Neugier nach den Brüsten der neuen Lehrerin schielt, um im Duschnebel des Umkleideraums eine wegweisende Entdeckung zu machen. Da ist die Erfahrung von Beziehungslust und -frust, wie sie Mark de Cloe in „Gitanes“ verhandelt oder Nina Paley in „Luv is...“, einer dreiminütigen Knetanimation, die weder mit Körperflüssigkeiten noch mit Witz geizt. Und da ist die Erfahrung von Anmache und Gewalt, wie sie Marianne Jenkins mit „...In My Dreams“ humoristisch zu bebildern sucht: Um einen Coup zu landen, verkleidet sich ein Gangster als Frau, wird jedoch von so vielen Sprüchen, Pfiffen und Schnalzgeräuschen heimgesucht, daß er die Fassung verliert und eine Gruppe Bauarbeiter niederstreckt, statt sich, wie geplant, dem Geldtransporter zu widmen.

Einen ernsteren Blick aufs heikle Sujet wirft Ulrike Schweiger mit „Mißbrauch wird bestraft“. Eine Sechzehnjährige wird in einem U-Bahn-Abteil vergewaltigt; etwa fünfzehn Fahrgäste sitzen auf ihren Bänken, ohne einzugreifen. Laut Programmheft beruht Schweigers Film auf einer tatsächlichen Begebenheit. Doch der Verweis auf die grausame Realität kann nicht erklären, warum auf der Leinwand keiner etwas unternimmt – eine dramaturgische Lücke bleibt.

Schweigers Film ist nicht der einzige, dessen Aufbau Fragen offenläßt. Mit der knappen Zeit sinnvoll umzugehen ist zweifellos eine Kunst, die nicht jeder Kurzfilm beherrscht. Und wie es um die Gesamtdramaturgie bestellt ist, wenn jeweils etwa zehn Kurze am Stück gezeigt werden, muß man sehen. Festivalleiter Hermanns betont zwar, daß der Block die ideale Form der Präsentation sei. Nur so ließen sich Filme unterbringen, die nicht auf eine lustige Story mit gut plazierter Pointe abzielten. Daß dabei vieles verschwimmt, ist eine andere Geschichte. Auch wenn man nicht vergessen sollte, daß sich gerade aus der zufälligen Zusammenstellung ganz ungeahnte Linien herauskristallisieren können: Im besten Falle macht sich das Publikum seinen eigenen Film.

„Sex und Wahnsinn“ – 14. Internationales Kurzfilmfestival Berlin: 8.–12.12. in den Kinos Balázs, Central, Haus der Kulturen der Welt, Hackesche Höfe, CinemaxX Colosseum. Heute um 20.30 Uhr: Eröffnungsprogramm (Highlights des Festivals & „Sex in Early American Cartoons 1928–65“) im HKW, John-Foster-Dulles-Allee

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