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„Endlich mal den Kindern zeigen, was Schnee ist“

■ Seit 1991 gab es in Berlin nicht mehr soviel Schnee wie in dieser Woche. Rodeln und Skifahren kann man in mehreren Parks. Am Insulaner in Schöneberg ist sogar eine kostenpflichtige Piste angelegt

„Zur Skipiste?“ fragt der Mann mit der weißen Wollmütze und dem roten Gesicht, da müsse man dort um die Ecke, „aber das kostet sechs Mark fuffzig“. „Und kann man da auch rodeln?“ „Ja, aber das kostet sechs Mark fuffzig – sechs Mark fuffzig!“

Die sechs Mark fünfzig Eintritt für die Winterfreuden im Urstromtal Berlins sind das große Thema an diesem Nachmittag am „Insulaner“, einem 80 Meter hohen Hügel in Schöneberg. Solch eine Schneemenge hat es seit Februar 1991 nicht mehr in der Hauptstadt gegeben, da zieht es die Flachländer in die Alpen der Metropole ... dumm nur, daß auf der Anhöhe gerade und erstmals die „Kärtner Skiwochen“ stattfinden, und das heißt: Wer rein will, muß – richtig! – 6,50 Mark zahlen, wenn er nicht durch das Schicksal begünstigt und entweder Kind oder arbeitslos ist.

Dafür sind am Rande der Piste auch gut ein Dutzend Holzbuden, wo man Glühwein für drei Mark oder Crêpes essen kann. Doch die meisten Buden sind zu. In einem größeren weißen Zelt verkauft ein Student aus Bayern nölenden Dreikäsehochs mit Engelsgeduld Skier und, vor allem, Snowboards: Die sind angesagt, erklärt er und hilft wieder einem pummeligen Mädchen, das seit fünf Minuten versucht, in ihre Skier zu kommen.

Dann die Piste, 200 Meter lang, der Berg ruft! Eine riesige Pistenraube vorne, umringt von Strohballen, rechts eine Schneemaschine, außer Betrieb, links ein Mini-Skilift, mit dem man zwei Minuten schneller auf der Hügelspitze ist. Doch mit den Schlitten darf niemand hoch, sagt der Wächter des Lifts, „wegen der Kinder“.

Auf der Piste ein paar Skifahrer und viele Snowboarder, die mit ernstem Gesicht und mehr oder weniger Geschick über einen kleinen Hügel brettern. Zwei Kamerateams drehen die Sensation: Winterfreuden in Berlin.

Man findet sie am „Mount Klamott“ in Friedrichshain (mit zwei Pisten, für Anfänger und erfahrene Skihasen), auf dem Kreuzberg im Viktoriapark (breit und ideal für Kinder), den Teufelsberg in Grunewald (Berlins höchstem Berg) sowie im Volkspark Rehberge im Wedding (mit einer 2,2-Kilometer- Loipe) und im Volkspark Mariendorf in Tempelhof (gut für Rodler).

Oben auf dem Insulaner macht ein Werbeplakat mit dem Konterfei Ches und dem Schlagwort „Revolution“ Reklame für eine Skifirma. „So aufregend ist das hier ja nicht“, mault Jens (27) rum, obwohl man von hier die Gedächtniskirche sehen kann. Mit seiner 21jährigen Freundin Maiken hat er eine Lücke im Bauzaun gefunden, um doch kostenlos reinzukommen. Auch Steven (14) und Behnam (13), sind rübergeklettert: „Ich bezahl' doch nicht“, prahlt Steven, davon wüßten auch seine Eltern, die's nicht gut fänden, hier jetzt zur Kasse gebeten zu werden.

Detlef Leopold, gebürtiger Kärtner, ist als Veranstalter der Skiwochen verantwortlich für die Zäune um den Hügel: Immerhin habe er 40.000 Mark Miete und noch einmal 7.000 Mark Gebühren dafür gezahlt, verteidigt er sich. Und alle Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung, auch die grüne, hätten der Nutzung zugestimmt. Zudem: Ohne seinen Kunstschnee wäre der Schnee schnell weggefahren, der Hügel würde erodieren.

„Jetzt schneit's endlich mal länger“, meint dagegen Klaus Kaminski aus Zehlendorf, „und schon muß man Eintritt zahlen.“ Aber darum gehe es heute nicht, sagt der 42jährige, er müsse doch seiner „Tochter endlich mal zeigen, was Schnee ist“ – und dann legt er sich auf seinen Schlitten, läßt Tanja auf seinem Rücken sitzen und braust den Hang hinab. Philipp Gessler

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