Alte Schule, Neue Schule, Schlägerstars

Alte Jungs bei „Ronin“, junge und schwere Jungs bei „Bube, Dame, König, grAs“. Über einige Wandlungen des Actionfilm-Genres. Bekannte Rüpel spielen coole Rüpel, aber am Ende geht's wieder nur um Authentizität. Keine Chance für Kati Witt  ■ Von Brigitte Werneburg

Auch Schauspieler haben ab Fünfzig nicht länger die große Wahl: Irgendwelche abgehalfterten Profis, Bullen oder Angestellten im kriminellen Milieu sind die Rollen im Angebot. Und damit sie freilich nicht ganz so alt aussehen, bekommen sie dreißig Jahre jüngere Partnerinnen. Action und Libido steht auf dem antizyklisch verabreichten Rezept, das die Altersbeschwerden der großen Stars lindern soll.

Nun wurden also Robert De Niro (als Sam) und Jean Reno (als Vincent) mit Hilfe von Action- Alt(!)meister John Frankenheimer verarztet. Die junge Frau in „Ronin. Jeder ist käuflich“ (Natascha McElhone als Deidre) ist diesmal nur der Boß (mit einem Auftraggeber der IRA im Hintergrund). Sie will den Aluminiumkoffer, mit dem irgendein Dunkelmann an der Côte d'Azur unterwegs ist. Dafür hat sie fünf Mann angeheuert. Doch einer spielt falsch: Gregor (Stellan Skarsgard), der deutsche Computerspezialist (mit Verbindungen zur russischen Mafia). Mit dem Überfall auf den Händler fängt die Sache also erst an. Und so folgen den klasse Verfolgungsfahrten am Mittelmeer ebenso klasse Verfolgungsfahrten in den Pariser Autotunneln – natürlich denkt man dabei an die tödliche Raserei von Dodi und Di.

So, wie man darüber nachdenkt, was alles an Filmkunst verlorenging, durch miese Computer- und Blue-Box-Effekte à la „Godzilla“. „Ronin“, das ist die alte Schule des Actionfilms, präzise inszenierte Stunts, noch einmal in all ihrer großartigen Artistik vorgeführt; das sind Jean Reno und Robert De Niro, die sich anständig, wenn auch mit Blutverlust, schlagen; das ist Katarina Witt als russische Eislaufprinzessin, die direkt nach ihrem Auftritt erschossen wird. Der große Gag kann das auch nicht mehr sein. Ist Haß auf Eiskunstlauf noch angesagt? Was aber „Ronin“ neben einem guten Buch nun wirklich fehlt – nicht nur, um seinen Reverenzen an die höheren Götter der Filmkunst wie etwa Melville gerecht zu werden – das ist „Le samurai“, der schöne, junge Mann. Ach, Alain Delon.

Gutaussehende junge Männer gibt es in „Bube, Dame, König, grAs“ einige, dem Film, der der neuen Schule des Actionfilms, dem Über-Tarantino, verpflichtet ist. Und leider, es ist wahr, jungen, gutaussehenden Jungs zuschauen macht viel mehr Spaß als alten abgewrackten. Die gibt's bei Guy Ritchie auch, zum Beispiel in der Person des Pornokönigs Harry „Hatchet“ – das Beil –, der Eddy (Nick Moran) beim Poker über den Tisch zieht. Danach schulden ihm Eddy und dessen Geldgeber Soap (Dexter Fletcher), Bacon (Jason Statham) und Tom (Jason Flemyng) 500.000 Pfund. Und Harry das Beil hat einen supercoolen Geldeintreiber namens Big Chris (Vinnie Jones)...

„Lock, Stock & Two Smoking Barrels“, der erfolgreichste britische Film dieses Jahres, wird als Nachfolger von „Trainspotting“ gehandelt. Die Geschichte, wie die Jungs glücklich davon- und wieder an ihr Geld kommen, ist freilich extrem konstruiert. Es bedarf enorm vieler Gangs, Auftraggeber und Angestellter, die alle, ohne es zu wissen, gegeneinander spielen. Und nur dadurch, daß sie sich zur rechten Zeit so in die Quere kommen, daß am Ende mangels Masse, das heißt Überlebender, das Geld sowieso keinen Adressaten mehr hat, löst sich die Story in Wohlgefallen auf: Das hat man leider schnell kapiert.

Was also Tarantino und dessen Kannibalismus, kurz die Einverleibung all der ihm begehrenswert erscheinenden Film-, Pop- und Pulp- Partikel und deren Ausstoß in zerstückelten Geschichten und Körpern, betrifft, gibt es wohl ein Mißverständnis. Die Konstruiertheit von „Bube, Dame, König, grAs“ geht weit über das hinaus, was Tarantino noch für interessant halten könnte. Denn bei allen opern-, also sagenhaften Wendungen seiner Stücke nimmt man ihm doch ab, daß es das Leben möglicherweise und nicht mit Sicherheit das Drehbuch ist, das die krude Geschichte schreibt. Es lastet ein Rest von Geheimnis und Schwermut an seinen Geschichten – woher auch deren Komik rührt. Aber Guy Ritchie will, egal zu welchen Kosten, eben in jeder Hinsicht über Tarantino hinaus: natürlich auch beim berühmten Berühmten-Casting.

Und so heuerte er neben Sting (als Eddys Vater) noch Vinnie Jones (als Big Chris) und Lenny McLean (als Barry the Baptist, Bodyguard des Beils) an. Anders als Sting sind Vinnie Jones und Lenny McLean im Vereinigten Königreich nicht Schlager-, sondern Schlägerstars. Dabei ist Vinnie Jones, der erst vor kurzem wegen Körperverletzung verurteilt wurde (er trat und schlug über 20 Minuten auf seinen Nachbarn ein), der größere Star: weil er nicht nur Menschen-, sondern auch Balltreter ist (beim FC Wimbledon). Ex- Schwergewichtsboxer McLean bleibt dafür der Ruhm des größeren Schlägers und eine Anklage wegen Mordes. Diese Helden besetzte Ritchie nun freilich nicht als die uncoolen Arschlöcher, die sie tatsächlich sind, sondern im Gegenteil als die Cool Guys. Doch so, ohne jede süffisante Reverenz an den Ruf seiner Kadetten, wo bitte bleibt da eigentlich die Ironie, Pop- Eats-Life? Meint es Ritchie ernst mit der Frivolität der Neuen Schule des Actionfilms, oder geht's ihm am Ende peinlicherweise doch um Authentizität? Ein Auftritt im Nachtprogramm der BBC erhärtete den Verdacht, daß er tatsächlich glaubt, das Gangsterspiel braucht den echten Täter. Wie gab noch mal Trumans Ehefrau in Peter Weirs „Truman-Show“ ihrer Verzweiflung ob der Verwechslung von Leben und Film Ausdruck? Ach ja – „it's so unprofessional!“

„Ronin“, Regie: John Frankenheimer. Mit Robert De Niro, Jean Reno u.a. USA 1997, 118 Min. „Bube, Dame, König, grAs“, Buch und Regie: Guy Ritchie. Mit Jason Flemyng, Dexter Fletcher, Nick Moran u.a. UK 1998, 106 Min.