: Laßt die Alten arbeiten!
■ Riester will einen „gemischten“ Tariffonds. Die Generationenfrage auf dem Arbeitsmarkt wird zunehmend zur Gerechtigkeitsfrage
Eine Beförderung in diesem Alter ist ungewöhnlich. 54 Jahre! Für den Niedersachsen hat sich sein Lebenstraum erfüllt, eine „neue berufliche Herausforderung“, wie man so sagt. Kein Mensch fragt sich, ob der neue Kanzler Schröder im Alter von 54 Jahren noch lernfähig genug ist für seinen neuen Job. Auf dem Arbeitsmarkt wäre Schröder nicht mehr vermittelbar. Und im Betrieb hätte man ihn jetzt gefragt, wann er denn in Altersteilzeit zu wechseln gedenke. Der Umgang mit dem Alter hat immer etwas mit Macht zu tun.
Deswegen muß sich Schröder mit der Altersfrage jetzt politisch auseinandersetzen. Gut möglich, daß die Generationenfrage zu einem entscheidenden Gerechtigkeitsproblem von Rot-Grün wird. An der Frage, wer zahlt und wer arbeitet, kann Rot-Grün noch weniger vorbei als die Kohl-Regierung. Arbeitsminister Walter Riester (SPD) hat einen „Generationenvertrag“ oben auf die Liste seiner Ziele gesetzt und will ihn zum Teil eines Bündnisses für Arbeit machen. Mit Hilfe des Generationenpaktes möchte der Minister Arbeit und Geld zwischen Alt und Jung umverteilen. Doch mit der Umverteilung ist das so eine Sache: Wenn irgendwo was gerechter werden soll, brechen anderswo neue Ungerechtigkeiten auf.
Die Älteren sollen schon im Alter von 60 Jahren auf volle Rente gehen können, also ohne die hohen Abschläge von 18 Prozent in der Altersversorgung hinnehmen zu müssen, die ihnen nach derzeitiger Rechtslage bei einem so frühen Ausstieg drohen. Riester schlägt deshalb jetzt einen Tariffonds vor, in den alle Beschäftigten etwa ein Prozent ihres Bruttolohnes einzahlen. Wer im Alter von 60 Jahren aufs Altenteil wechselt, soll aus diesem Fonds einen Ausgleich für die Rentenverluste erhalten.
Nach gewerkschaftlichen Rechnungen müßte ein Durchschnittsrentner rund 100.000 Mark aus dem Fonds kassieren, um die gekürzte Rente aufzustocken. Werden die drohenden Rentenabschläge voll ausgeglichen, ist das erst mal nichts anderes als eine satte Umverteilung von Jung nach Alt: Alle Beschäftigten geben was ab, damit die demnächst 60jährigen materiell gut ausgestattet in den Ruhestand entschwinden können. Der Tariffonds wäre ein neues intergenerationales Kollektivsystem. Mit ähnlichen materiellen Ungerechtigkeiten für die Jüngeren, wie sie das heutige Rentensystem schon kennzeichnen.
Doch diesem Eindruck will Riester entgegentreten: Aus dem umlagefinanzierten Fonds soll sich nach zehn Jahren eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung entwickeln. Im Klartext: Nur wer in den nächsten zehn Jahren mit 60 auf Rente geht, bekommt aus dem Fonds einen Ausgleich für die Rentenabschläge. Wer aber danach mit 60 in Rente wechselt, hat keinen Ausgleich mehr zu erwarten. Für diese jüngeren Einzahler gibt es nur noch eine Zusatzrente aus einer kapitalgedeckten Versicherung. Und diese Zusatzrente richtet sich nach der Höhe der individuell eingezahlten Beiträge.
Das Argument Riesters für dieses Zwei-Phasen-Modell: Ab dem Jahr 2010 schrumpft aus demographischen Gründen die Zahl der Erwerbspersonen. Dann ist es ohnehin nicht mehr sinnvoll, die 60jährigen frühzeitig in den Ruhestand zu schicken.
Das klingt politisch durchdacht, gerecht ist der Zwei-Phasen-Fonds dennoch nicht. Es profitieren nämlich vor allem die Einzahler der ersten Phase, also jene, die heute 50 Jahre und älter sind. Die Jüngeren hingegen könnten ihre Beiträge genausogut zur Bank tragen. Die Rendite wäre nicht kleiner. Auch die heutigen Rentner verlieren: Die Rente richtet sich nach dem Nettoeinkommen der Beschäftigten. Dieses sinkt, wenn alle Arbeitnehmer Beiträge in einen neuen Fonds einzahlen.
Die Phase der Umlagefinanzierung birgt somit ein Gerechtigkeitsproblem. Diese Phase sei aber Teil des „Generationenpaktes“, so argumentiert der Arbeitsminister. Die Gegenleistung für die Jüngeren sollen neue Jobs sein, die durch die 60jährigen Ruheständler frei werden. Für drei Ältere, die in den Ruhestand wechseln, würde rechnerisch ein Jüngerer eingestellt. Die Wiederbesetzungsquote ist jedoch eine Vergleichsrechnung, die kaum schlüssig belegt werden kann. Jobs werden weiterhin vor allem in den „klassischen“ Industriebereichen abgebaut, die Arbeitgeber in neuen Branchen wie der Informationstechnologie suchen hingegen jüngere, qualifizierte Beschäftigte, unabhängig davon, ob irgendwo jemand schon mit 60 in Rente geht.
Der politisch geplante „Job- Deal“ zwischen Alt und Jung geht von unbelegten Annahmen aus. Ganz abgesehen davon, daß die volle Rente ab 60 das Gefälle von älteren Jobbesitzern zu älteren Arbeitslosen verstärkt. Wer über 50 ist und arbeitslos, hat kaum eine Chance, einen neuen Job zu bekommen und damit auch nicht eine volle Rente mit 60.
Der Riester-Vorschlag bietet zwar neue Ansätze, nämlich den Einstieg in eine kapitalgedeckte Alterszusatzversicherung für die Jüngeren. Aber er zeigt auch die Umverteilungsproblematik, der sich die rot-grüne Regierung gegenübersieht: Irgendwoher muß das Geld für den Rentenausgleich der Älteren kommen. Gut möglich, daß die Arbeitnehmer am Ende wieder nur über die neue Abgabe schimpfen, ähnlich wie bei dem gescheiterten Versuch, die 620-Mark-Jobs zu reformieren.
Schließlich waren die von der Kohl-Regierung eingeführten Rentenabschläge für die 60jährigen ja schon ein Versuch, das intergenerationale Gerechtigkeitsproblem anzugehen und die Auszahlungsleistungen mehr an die Einzahlungen zu binden.
Was aber soll nun mit den 60jährigen geschehen, die den Arbeitsmarkt in den nächsten zehn Jahren „verstopfen“, wie es sozialdemokratische Politiker formulieren (und damit die Älteren nebenbei zu Objekten machen)? Kleinere Kompromisse sind angebracht. Sie könnten in einer Erweiterung der vom Arbeitsamt subventionierten Altersteilzeit liegen. Schafft man einen neuen Fonds, wäre nur ein teilweiser Ausgleich der Rentenabschläge ausreichend. Unternehmen, die ihre älteren Beschäftigten loswerden wollen, müßten dann eben höhere Abfindungen zahlen.
Nicht zuletzt aber hat Riester mit seinem Vorschlag zu dem zweiphasigen Fonds klargemacht: Über kurz oder lang wird und soll es in den Betrieben wieder Tausende von über 60jährigen geben, die immer noch malochen. Die Unternehmen werden sich entsprechend umstellen müssen – vielleicht auch durch eine Humanisierung der Arbeitsbedingungen. Laßt die Alten arbeiten! Barbara Dribbusch
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