: „Man darf Tiere nicht zum Leben vergewaltigen“
■ Der Walforscher Günter Heidemann: Porträt eines Unbequemen mit Distanz zu Tieren, Tierschützern und Kollegen Von Heike Haarhoff
„Als Forscher hat man die Pflicht, sein Wissen an die Öffentlichkeit weiterzugeben.“ Günter Heidemann haßt es, Dinge zu verschweigen. Allen, die es hören wollten oder nicht, hat der 54jährige Biologe in den vergangenen 15 Jahren als Wildbiologe, Wal- und Robbenforscher an der Uni Kiel unermüdlich verkündet, daß die Meeressäugetiere in der Nordsee vor allem durch menschliche Umweltverschmutzung akut bedroht sind. Solche Wahrheiten vermitteln Schuldgefühle.
Günter Heidemann ist für manche Menschen – vom Tourismus lebende Küstenbewohner, Industrielle und selbst Wissenschaftler-Kollegen – der Inbegriff des unbequemen Zeitgenossen. Den man gern loswerden möchte. Deswegen ist er vor knapp drei Monaten als wissenschaftlicher Leiter zur privaten Boco-Naturschutzstiftung nach Hamburg gewechselt. „Freiwillig und mit Begeisterung“, betont er: „Die Aufgabe hier hat mich sehr gereizt.“
1980 entsteht mit Günter Heidemann die „Forschungsstelle Wildbiologie“ am Kieler Universitäts-Institut für Haustierkunde. Ziel ist, den Bestand aller in Schleswig-Holstein lebenden Säugetiere und ihren Gefährdungsgrad zu erfassen. „Dazu gehören Zwergfledermäuse und Hasen, aber eben auch Seehunde und Wale.“ Und da hat Günter Heidemann „eben“ die Meeressäuger erforscht: „Nicht, weil es mein Traum war, sondern weil es sich zufällig so ergeben hat.“
Vielleicht ist es gerade dieser Nüchternheit zu verdanken, daß seine Forschertätigkeit sich nie in die Modeerscheinungen der späten 80er Jahre einreihte: Die Gesang des Buckelwals oder das tiefenpsychologisches Verhältnis der Robbe zum Menschen interessierten Günter Heidemann nie besonders. „Mir ist ein Wal auf zwei Kilometer Entfernung lieber. Ich muß ihn nicht mit Affenliebe in mein Herz schließen, denn umgekehrt erwarte ich auch nicht, daß der Wal mich liebt. Zu brauchbaren Ergebnissen kommen wir nur, wenn wir Distanz zu unseren Untersuchungsobjekten wahren.“ Man glaubt es ihm auf's Wort: Günter Heidemann hat so gar nichts von dem kleinen Jungen, der begeistert mit Fernseh-Flipper über die Wellen reitet. Und noch weniger vom Kalifornien-Touristen auf „Whale-watching-tour“, der mit verklärtem Blick an Moby Dick denkt.
Statt dessen hat er einen Hang zu Präzision und Analyse: „Die Seehunde haben wir aus einigen hundert Metern Höhe vom Flugzeug aus gezählt, wenn sie schliefen oder bei Niedrigwasser auf den Sandbänken lagen.“ Bei den Schweinswalen – die einzige Art, die in der Nordsee heimisch ist – „bedarf es kühner Rechnerei, um ihren tatsächlichen Bestand zu ermitteln, weil die Tiere oft zwei bis drei Meter unter Wasser liegen.“ Die Ausdauer bei seinen Ermittlungen – immer in kollegialer Teamarbeit – zahlt sich aus. Seine Arbeitsgruppe findet heraus, daß von dem Seehund-Bestand von 40 000 Tieren um die Jahrhundertwende heute noch knapp ein Viertel übriggeblieben ist, „weil die Nordsee ein Sau-stall ist.“ Der Biologe zeigt die Nahrungskette „von Bitterfeld bis zum verendenden Robben-Baby auf“.
Konflikte lassen nicht lange auf sich warten. Als „Totengräber des Fremdenverkehrs“ beschimpfen ihn Küstenbewohner, als Günter Heidemann 1988 in der Hochphase der Seehund-Seuche verkündet, daß sich die Industrieländer die Katastrophe selbst zuzuschreiben haben, weil die arktischen Sattelrobben mit dem todbringenden Virus ihre heimischen Gewässer „wahrscheinlich ohne Klimaveränderung und Nahrungsmangel wegen Überfischung der Meere niemals verlassen hätten.“ Doch Günter Heidemann läßt sich nicht mundtot machen: Als es Mode wird, die niedlichen Seehund-Heuler künstlich aufzupäppeln, um sich mit einem angeblichen Beitrag zum Tierschutz ein reines Gewissen zu schaffen, kritisiert Günter Heidemann auch diese Verlogenheit: „Natürlich sind die Seehunde bedauernswert. Aber die Menschen befriedigen sich nur selbst, indem sie die Tiere zum Überleben vergewaltigen. Sie versuchen, die Opfer der widrigen Umweltsituation unter Klinikbedingungen zu retten, anstatt sich zu den Wurzeln des Übels zu bekennen und diese radikal zu bekämpfen. Wenn wir das als Naturschutz verkaufen, müßten wir jeden Baum ins Gewächshaus stellen, um ihn vor saurem Regen zu schützen.“
Auch an der Uni stößt er auf Unverständnis: Manche Kollegen „konnten es nie leiden, wenn ich dort die stinkenden Wal-Leichen seziert habe. Die hielten das für unwissenschaftlich und vor allem für unwürdig für die Universität.“ Neid auf das attraktive Forschungsgebiet, Angst vor Schrammen am wissenschaftlichen Elfenbeinturm und Scheu vor der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit sind die wahren Gründe, die Heidemann hinter dem feindseligen Verhalten vermutet.
Günter Heidemann hat Konsequenzen gezogen: Seit Juli widmet er sich dem Aufbau der boco-Forschungsstation im mecklenburgischen Klepelshagen, wo die Zusammenhänge zwischen naturschutzorientierter Land-, Forst- und Jagdwirtschaft sowie Flächenstillegung und Wildtierleben erforscht werden. Und wie um sich selbst zu beweisen, daß er tatsächlich den Schlußstrich unter das leidige Kieler Kapitel gezogen hat, gibt es in seinem Hamburger Büro keine Wal-Relikte: Statt dessen liegt auf dem Schreibtisch zwischen Papieren und Terminkalender das Gebiß eines Rehs.
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