Nein zu Fremdheitserfahrungen

■ Chinesisches Theater in einem Gastspiel im TiKmit dem Stück Mond über Tokio

Fremdheitserfahrungen von Fremden in der Fremde sah sich das Publikum am Wochenende im Thalia in der Kunsthalle (TiK) ausgesetzt. In dem Stück Mond über Tokio versuchen vier chinesische Studierende, unter kargen Bedingungen in Japan an Geld zu kommen.

Anläßlich von China-Wochen und zehnjähriger Städtepartnerschaft mit Shanghai gastierte das Shanghaier Volkskunst-Theater unter dem hellem Vollmond Hamburgs und gab zwei Vorstellungen des zeitgenössischen Stückes von Sha Yexin. Eine Projektgruppe des Sinologischen Seminars der Uni simultanübersetzte dem Publikum den Text in die Kopfhörer.

Im Stich gelassen von denen, die sie am Tokioter Flughafen abholen sollen, ziehen die vier in die Rumpelkammer eines Restaurantbesitzers ein, bei dem die beiden Frauen auch die Teller waschen dürfen. Das erste Mondfest der vier Exilanten endet traurig, weil die Jüngste, Lu Juan, ausgebeutet und geschlagen vom japanischen Wirt, ihren Job verliert. Sie geht als Animiermädchen in eine Bar, aus der sie von den anderen, die derweil ihren eigenen Weg gemacht haben, nach einigen Monaten errettet wird. Einmal abgesehen davon, daß der Seismologie-Student Tong Lu sie nicht heiraten kann, weil sie erst wirtschaftlich unabhängig sein will, endet das zweite Mondfest froh. Und alles wird gut.

Lag's an der deutschen Fassung, lag's am chinesischen Original – die Lacher der Chinesinnen und Chinesen im Publikum stimmten da bisweilen mißtrauisch – Witz war in den Dialogen wenig zu spüren, auch die Handlung blieb bar jeder Ambivalenz. Vom Abenteurer und Joker Lin Gengen und der um ihren Sohn kämpfenden Ärztin Zhang Chun erfahren wir leider weniger als von dem besonnen-langweiligen Tong und der liebreizenden Lu. Als sich der böse Wirt bei Lu nicht nur für die Schläge, sondern auch noch für die Kriegsverbrechen der Japaner an den Chinesen entschuldigt, sie wiederum von demselben Firmenchef, der sie eben noch kaufen wollte, einen netten Posten erhält, geht auch die Wirkung der wenigen politisch-kritischen Andeutungen flöten.

Um nicht in der entweder herablassenden oder künstlich begeisterten Ethno-Chauvinismus-Falle zu landen, läßt sich an dieser Stelle nur vermuten, daß das Opus im Kontext der chinesisch-japanischen Beziehungen mehr Brisanz enthält, als es deutschen Ignorantinnen preisgibt, und daß es in Hamburg alles geleistet hat, was von staatlich-akademischer Völkerverständigung zu erwarten ist: Neugier zu wecken. Ulrike Winkelmann