: Deutsch für türkische Mütter
In der Rixdorfer Grundschule in Neukölln lernen 30 nichtdeutsche Mütter die deutsche Sprache. Hintergrund sind die zunehmenden Sprachprobleme ihrer Kinder ■ Von Jeannette Goddar
Die deutsche Lehrerin wandert von einer Frau zur nächsten. „Ist deine Hose schwarz?“ „Nein, meine Hose ist rot.“ „Ist dein Kopftuch grün?“ „Nein, mein Kopftuch ist nicht grün.“ An der Wand hängt ein großes Plakat: „Ich wohne, du wohnst, er/sie/es wohnt.“ Die 30 Frauen, die jeden Vormittag in der Rixdorfer Grundschule in Neukölln auf den kleinen Stühlen sitzen, machen in etwa dasselbe wie ihre Kinder in den umliegenden Räumen: sie lernen die deutsche Sprache. Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei, manche aber auch aus Makedonien, Iran und Indien.
Zum Beginn dieses Halbjahres haben sie mit ihrem 225stündigen Deutschkurs angefangen. Zur gestrigen Weihnachtsfeier wurden nun die politisch Verantwortlichen sowie die Presse eingeladen, um den Modellversuch „Deutsch für Mütter von Kindern nichtdeutscher Herkunft“ vorzustellen. Seitdem haben die Mütter es in dem Lehrbuch „Themen neu – Deutsch als Fremdsprache“ bis zu Kapitel fünf geschafft. Noch können sie längst keine fließende Unterhaltung auf deutsch führen, aber sie können auf einfache Fragen antworten und verstehen fast alles.
Die Idee hinter dem Konzept ist so simpel, daß es verwundert, daß sie nicht schon seit Jahrzehnten praktiziert wird: Immer mehr Kinder werden mit schlechten bis gar keinen Deutschkenntnissen eingeschult, weil sie zu Hause nur türkisch oder arabisch sprechen. Wenn man es aber schafft, die Mütter zu unterrichten, lernen diese erstens Deutsch, kommen zweitens leichter in Kontakt mit deutschen Eltern und Kindern und können drittens ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen.
Vor allem letzteres ist für die meisten ein wesentliches Argument. „Ich bin immer gut klargekommen mit meinem Türkisch in Berlin“, sagt die 32jährige Ilknur aus Adana, „aber für meine drei Kinder ist das nicht schön. Sie leben doch in Deutschland.“ Den Einwand, sie könnten doch woanders Deutsch lernen, läßt Ilknur nicht gelten: „Ich kann aber nur aus dem Haus, wenn meine drei Kinder in der Schule sind.“
Für eine Erweiterung des in Neukölln praktizierten Ansatzes sprach sich inzwischen auch die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) aus. „Die Annahme, daß die Leute irgendwie Deutsch lernen werden, hat sich als falsch herausgestellt“, sagt sie. „In den Innenstadtbezirken ist der Kontakt zur deutschen Sprache und Kultur immer schwieriger geworden.“ John machte allerdings auch deutlich, daß sie Deutschkurse für Mütter, deren Kinder bereits im Schulalter sind, nur für die zweitbeste Lösung hält. Sie sprach sich deshalb für ein frühes „Anreizsystem“ zum Lernen der deutschen Sprache aus: „Idealerweise würden sie gleich bei ihrer Ankunft einen Deutschkurs besuchen und dafür im Gegenzug zum Beispiel schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen.“
Der Mütterunterricht an Schulen, der bisher nur in einigen wenigen Bezirken in Berlin modellhaft durchgeführt wird, soll im kommenden Jahr tatsächlich ausgeweitet werden. Als Ergebnis der ersten Innenstadtkonferenz in diesem Jahr, bei der vor allem die mangelnde Integration und Sprachkompetenz vieler Einwanderer beklagt wurde, stehen im kommenden Jahr 1,8 Millionen Mark für derartige Kurse zur Verfügung. Ein Drittel davon geht nach Neukölln. Insgesamt können damit in ganz Berlin 90 Kurse für je 15 Frauen durchgeführt werden.
In welch krassem Mißverhältnis das allgemeine Klagen über schlechte Deutschkenntnisse zu den Mitteln steht, die zur Verbesserung der Sprachkenntnise zur Verfügung stehen, hat man in Neukölln auch schon einmal ausgerechnet. Alleine um an Neuköllner Kindertagesstätten Kinder qualifiziert an die deutsche Sprache heranzuführen, weiß Jugendstadtrat Heinz Buschkowsky (SPD), würden 110 zusätzliche Stellen benötigt. Im Ergebnis der Innenstadtkonferenz werden im kommenden Jahr aber nur 30 Stellen geschaffen – für ganz Berlin. Dazu komme, so Buschkowsky, daß bisher nicht einmal die Erzieherinnen dazu ausgebildet seien, Kindern eine Sprache zu vermitteln.
Auch darüber, daß das Thema Sprachvermittlung in absehbarer Zeit die Geschicke der Innenstadt bestimmen wird, war man sich gestern parteiübergreifend einig. „Das wird dauerhaft eine zentrale Aufgabe bleiben“, so Buschkowsky. „Keiner kann sich vormachen, daß wir das mit ein paar Modellversuchen erledigen. Wir müssen dafür kämpfen, eine gemeinsame Sprache zu haben.“
Die insgesamt 30 Mütter, die jetzt an der Rixdorfer Grundschule Deutsch lernen, haben sich dem Kampf gestellt – und zwar freiwillig und gerne. „Die Frauen waren begeistert“, sagt die Schulleiterin Marion Berning. „Wir haben auch jede Menge Anfragen für Fortgeschrittenenkurse bekommen, die wir allerdings nicht erfüllen konnten.“
Denn auch wenn es irgendwie gelungen ist, das Modellprojekt zu finanzieren, fehlt das Geld für den ganz normalen Unterricht hier wie überall an allen Ecken und Enden. Allein an der Rixdorfer Grundschule mußten seit Beginn des Schuljahres 50 Wochenstunden Förderunterricht für Kinder nichtdeutscher Herkunft ausfallen; insgesamt fielen von 470 Vertretungsstunden 180 wegen Lehrermangels komplett aus. „Wenn man über erfolgreiche Projekte redet“, sagt der Elternvertreter Michael Palmer, „dann muß man auch darüber reden, daß oft die alltäglichsten Dinge nicht mehr möglich sind.“
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