: Eine Haltestelle zur Mahnung an das „Judenreferat“
■ Toilettenkönig Hans Wall sponsert eine „Inne-Haltestelle“ an der Schöneberger Kurfürstenstraße
Ziemlich erstaunt schauten die TouristInnen aus dem Bus der BVG-Linie 100 auf die seltsame Koalition, die sich da gestern an einer Haltestelle an der Schöneberger Kurfürstenstraße 115/116 versammelt hatte.
Bildungsarbeiter und Ex-tazler Ronnie Golz, Geschichtsprofessor Reinhard Rürup, Klo- und Bushäuschen-Ersteller Hans Wall und die Berliner Ex-Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien (CDU) froren solidarisch mit rund hundert JournalistInnen und ZuschauerInnen. An jener Stelle in der Kurfürstenstraße nämlich erinnert nun ein ganz normales Wartehäuschen der BVG an das „Judenreferat“ Adolf Eichmanns. Dieses hatte seinen Hauptsitz dort, wo jetzt das Hotel „Sylter Hof“ residiert.
Die Initiative für diesen ungewöhnlichen „Mahnort“ ging von Ronnie Golz aus, der seit 28 Jahren in der Erwachsenenbildung arbeitet und sich mit dem Entwurf eines verfremdeten Davidsterns auch am künstlerischen Wettbewerb für das Holocaust-Mahnmal beteiligt hatte. Golz, Sohn einer tschechischen Jüdin und eines Berliner Juden, hatte sich daran gestoßen, daß nichts mehr an diesem Ort an die Todesbürokratie Eichmanns erinnerte.
Im Zweiten Weltkrieg hatte Schreibtischtäter Eichmann von der Kurfürstenstraße aus die Deportationen der Juden Europas zu den Stätten ihrer Vernichtung organisiert. Sein „Judenreferat“ befand sich in einem repräsentativen Vereins- und Wohnhaus, das dem jüdischen „Brüderverein“ gehört hatte. Nach dem Krieg gelang dem „Spediteur des Todes“ die Flucht aus der US-Kriegsgefangenschaft, 1960 spürte ihn der israelische Geheimdienst in Argentinien auf. 1961, just zur selben Zeit, als ein Gericht in Israel über ihn richtete, wurde sein Amtssitz abgerissen.
Diese von der Stiftung „Topographie des Terrors“ unter Reinhard Rürup zusammengetragenen Informationen sind nun auch auf schwarzweißen Fototafeln nachzulesen, die im Plexiglas des Bushäuschen eingelassen wurden. Die Wartehalle gestiftet hat der Millionär und Berliner Toilettenkönig Hans Wall, der auch die Glasplatte des Mahnmals zur Bücherverbrennung in Mitte regelmäßig auf seine Kosten erneuern läßt. Seine kurz angebundene Begründung: „Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus dürfen hier keine Chance mehr haben.“ Daß nun an einer Stelle Aufklärung geboten wird, wo sonst nur Werbung prangt, hält Historiker Reinhard Rürup für eine „Chance“. Andere sind da skeptischer. „Es demonstriert eher Hilflosigkeit, weil man anders nicht auf den Ort aufmerksam machen konnte“, meint Günter Morsch, Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. In der Tat war es nach Auskunft der Leiterin des Kunstamtes Schöneberg jahrelang nicht möglich gewesen, hier auch nur eine schlichte Gedenktafel anzubringen.
Statt dessen nun also die europaweit erste „Inne-Haltestelle“. Sie solle die Menschen „aus der Haltung des bloßen Zuschauers, des By-standers befreien“, hoffte Hanna-Renate Laurien in ihrer Ansprache. „Wegschauen ist Flucht vor der Wirklichkeit“, kritisierte die CDU-Politikerin Martin Walser von links. Aber „aus dem Hinschauen auf den Ort des Judenreferats gewinnen wir Kraft für die Banalität des Guten.“ Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen