: Der Mensch als Wurmfortsatz
■ Wissenschaftler entschlüsseln zum ersten Mal komplett die Gene eines Tieres und stellen große Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Wurm fest. Konkurrenz droht aus der Industrie
Berlin (taz) – Daß wir alle kleine Würmchen sind, wissen Kulturpessimisten, Christen und Mitarbeiter großer Konzerne schon lange. Doch nun haben wir es sozusagen amtlich, bestätigt von den Gentechnikern. Gestern erschien in der renommierten Wissenschaftszeitung Science eine Arbeit, die vom sonst eher zurückhaltenden Herausgeber gepriesen wird als Eroberung von Neuland, die „eine neue Ära der Biologie“ eröffne.
Zum ersten Mal, so die britischen und US-amerikanischen Autoren des Artikels, sei die Gensequenz eines Tieres komplett entschlüsselt worden – vom Zellkern die Treppe hinab über die Chromosomen und Gene bis zu den einzelnen Molekülen, die die langen Ketten der Desoxyribonukleinsäure (DNS oder DNA genannt) bilden. Aus diesen ineinander verschlungenen korkenzieherförmigen Kombinationen der Grundbausteine des Lebens wollen die Genetiker Rückschlüsse ziehen, wie der Mensch funktioniert – und vor allem wie er wieder repariert werden kann, wenn etwas schief gelaufen ist.
Der Mensch imitiert C. elegans zu 75 Prozent
Das entschlüsselte Tier ist ein winziger Fadenwurm mit Namen Caenorhabditis elegans. Er ist durchsichtig und kommt zu Tausenden in jedem Krümel Gartenerde vor. Ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde diese Ansammlung von 959 Körperzellen, weil er Muskeln, Nerven und Organe hat wie im Prinzip auch der Mensch. Die Wissenschaftler wissen nun, daß sein Erbgut aus 97 Millionen DNA-Basenpaaren besteht, die zu 19.099 Genen kombiniert sind. Und siehe da: Vergleicht man 5.000 vom Menschen bekannte Gene mit denen des Wurms, so sehen manche Forscher für 75 Prozent des Menschenerbguts eine entsprechende Sequenz beim Wurm. Andere finden immerhin noch die Hälfte der Gene beim Menschen und anderen Organismen wieder. „In den letzten 10 Jahren mußten wir feststellen, daß Menschen Würmern mehr gleichen, als wir uns je vorstellen konnten“, meinte denn gestern auch Bruce Alberts, Präsident der US- amerikanischen Akademie der Wissenschaften in der New York Times. Weil selbst bei dem kleinen Fadenwurm alles viel kompliziert gesteuert wird als gedacht, sieht Molekularbiologe Alberts jedoch ein: „Wir stehen wirklich erst am Beginn der Entschlüsselung des Geheimnisses des Lebens.“ Trotzdem wird eine klare Parallele zum Menschen gezogen. „Es ist ein Tier wie wir auch“, sagt Robert Waterston, Leiter des Teams an der Washington University in St. Louis, das in den letzten 10 Jahren den Wurm mit entschlüsselt hat.
Andere Teams arbeiten bereits an mutierten Versionen von C. elegans. Dabei schalten sie bestimmte Gene ein und aus, verändern andere und betrachten jeweils, was passiert.
Die Gene finden, die das Leben verlängern
So wollen sie Rückschlüsse auf den Menschen ziehen. Abgesehen davon, daß derartige Experimente mit Menschen sowieso verboten sind, wäre das menschliche Erbgut derzeit auch noch etwas kompliziert zu deuten – immerhin bringt es die Krone der Schöpfung auf 80.000 Gene mit drei Milliarden DNA-Paaren. Schon fanden sich bei C. elegans ein halbes Dutzend Gene, die den Organismus in eine Phase überführen, die dem Wurm das Leben unter schwierigen Umweltbedingungen verlängert. Das könnte ja auch für unsereins manchmal nützlich sein.
Daß der Mensch ständig in einem Atemzug mit dem Wurm genannt wird, liegt jedoch auch in der Einbettung der Nematoden-Arbeiten in das größte derzeit laufende Genprojekt, die Entschlüsselung der menschlichen Erbgutsequenz durch „Hugo“ (Human genome project). Knapp 260 Millionen Dollar gibt allein das Bundesgesundheitsminsterium NIH der USA in diesem Jahr dafür aus. Um solche Beträge zu rechtfertigen, müssen Erfolge her.
Den Hugo-Forschern geht es jedoch nicht nur um die bloße Sicherung der Forschungsgelder, sondern auch um den Zugang und die Nutzung ihrer potentiellen Ergebnisse. Sie müssen nämlich schnell fertig werden, weil sie kommerzielle Konkurrenz erhalten haben: Der ehemalige Mitforscher Craig Venter hat sich mit der Firma Celera selbständig gemacht. Unter den Fittichen des führenden Verkäufers von Gensequenz-Anlagen, dem Unternehmen Perkin-Elmer, will er mit neuartigen Maschinen die DNA des Menschen analysieren. Celera will schon 2001 mit dem menschlichen Genkatalog fertig sein, Jahre früher als die staatlich geförderten Hugo-Kollegen. Klappt der kühne Plan, könnten die wirtschaftlich nutzbaren Chromosomenabschnitte den Professoren zu einem guten Teil vor der Nase wegpatentiert werden.
Diskutiert wird wohl in den Kreisen der Genlaien trotzdem mehr die Ähnlichkeit des Menschen mit dem Wurm. Dabei ist die Lage philosophisch gesehen eigentlich noch niederschmetternder: Nicht nur Würmer, gar Staub sind wir. Das zeigte die Komplettanalysen der Backhefe vor zwei Jahren. Auch bei diesem Einzeller fanden sich erstaunliche Ähnlichkeiten der Gene mit denen des Menschen. Reiner Metzger
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