Tach auch!: Jau! Morgenröte
■ Die neue kleine sowie erbauliche Montagskolumne der taz / 5. Versuch
Ist die Morgenröte kritisierbar? Wir meinen: „jau!“ und setzen uns in den Interregio nach Dortmund. Es ist 7.47 Uhr, der reservierte Platz in Wagen 7 trägt die Nummer 46 (Vielnutzer der Bahn-Dienstleistungen kennen diese eigentümliche Koinzidenz zwischen Platznummer und Abfahrtzeit). Die Leute stecken ihre Köpfe ins Hamburger Dimpelblatt, den Rotenburger Tachauch-Kurier und die tazfaz, um noch ein bißchen unbemerkt nicken zu können. Plötzlich heben alle ihre Köpfe. In Fahrtrichtung links, fensterrahmenfüllend, hochglanz und in Farbe präsentiert sich: die Morgenröte.
„Apfelsinenrot“, das träfe es. Pastos geschichtet, gestische Malerei, ohne Zweifel. Der Schöpfer dieses Werkes weiß den Spachtel zu führen, dämpft, wo des Fulminanten zuviel, mit Grau, das bis ins Grün changiert, plaziert weise ein paar blattlose Birken, wohl auch ein spärlich erleuchtetes Gehöft. Im Vordergrund ein vollkommen leeres, den Existenzialisten ansprechendes Weiß. Krähen. Baumstümpfe. Unten rechts die Signatur: Gott, 9.12.1998.
Und doch. Und doch hätte man hier gern mehr Grün gesehen, dort eine pointiertere Position erwartet, zu bemängeln wäre die konventionelle Bildsprache, der steife Duktus, die Angst vor Innovation.
Natürlich, ich höre Sie schon mahnen, herzensgute Leserin, kreuzbraver Leser: Kannst du es besser?! Wohl wahr, wir Erdenwürmer sind kümmerliche Querulanten, die nur auf häßliche Gedanken kommen wie diesen: Eine Sitzplatzreservierung kostet drei Mark. Für dreißig Mark kann man zehn Leute von ihren Plätzen jagen, für 100 dreiunddreißig! Ein dreckiger, aber vergleichsweise billiger Spaß. BuS
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