piwik no script img

Ein grüner Parteirat sucht seine Funktion

Die Bündnisgrünen haben sich am Wochenende mit dem Parteirat ein neues Gremium gegeben. Ob es die Basis oder die Funktionsträger in der Regierung stärken soll, darüber herrscht nach wie vor Uneinigkeit  ■ Aus Leipzig Bettina Gaus

Am späten Samstagabend gingen dem Präsidium die Anträge aus. Nichts war unbehandelt geblieben. Aber dennoch durfte niemand nach Hause gehen – noch immer lag das mit Spannung erwartete Wahlergebnis zum neu geschaffenen Parteirat nicht vor. Da übernahmen einige Mutige die Programmgestaltung im Handstreich. „Auf der BDK nachts um halb eins“: falsch, aber schön tönte es vom Podium herunter durch die riesige Halle des neuen Leipziger Kongreßzentrums. Jetzt gab es kein Halten mehr. Alle wollten singen. Der „kleine, grüne Kaktus“ stand „draußen am Balkon“ und zur „schwäb'schen Eisenbahne“ formierte sich gar eine Polonnaise. Der Ausbruch musikalischen Frohsinns blieb das einzige Ventil, das sich die grüne Seele suchte. Zuvor hatten sich die 750 Delegierten auf grauen Stühlen unter grauen Konstruktionen aus Beton und Stahl zwei Tage lang mit einer überaus trockenen Materie befaßt: Neben der Wahl eines neuen Bundesvorstands ging es auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen vor allem um die Strukturreform. Was von außen betrachtet wie eine unkomplizierte Neuerung aussieht, rührt im Binnenverhältnis der Ebenen und Strömungen der Bündnisgrünen an alte Grundsätze und damit an die Frage des Gesamtprofils der Partei.

„Wir brauchen klare, transparente Strukturen, die Länderebene, Fraktion und Kabinett eng miteinander vernetzen“, erklärte Parteisprecherin Gunda Röstel zum Auftakt der Debatte. Die Diagnose wurde von niemandem bestritten – aber über die richtige Therapie gingen die Ansichten weit auseinander. Wie groß soll der Parteirat werden, der künftig mit monatlichen Treffen „vernetzen“ soll? Müssen alle Landesverbände darin vertreten sein? Ist die Trennung von Amt und Mandat auch im Parteirat beizubehalten oder dürfen Mandatierte in das neue Gremium gewählt werden? Wenn ja, wie viele? Gibt es automatisch gesetzte Mitglieder des Parteirats oder müssen sich alle einer geheimen Wahl stellen?

Manchen ging das alles zu schnell. Gar nichts solle jetzt schon entschieden werden, meinte ein Delegierter aus Darmstadt. Erst einmal müsse eine Grundsatzdiskussion geführt werden. „Der Zeitrahmen, der zur Verfügung gestanden hatte, war viel zu kurz.“ Eine „übergroße Mehrheit“ der Delegierten sah das anders. Sie lehnte den Antrag auf Vertagung ab, ganz im Sinne des Bundesvorstands. Der konnte sich auch sonst mit seinem Vorschlag für die Satzungsänderung weitgehend durchsetzen.

Nur ein bißchen größer als ursprünglich geplant fällt der Parteirat aus: 25 statt 16 Mitglieder wird das Gremium nun haben, hinzu kommen noch Bundesvorstand und drei beratende Stimmen. „Mit deutlicher Zweidrittelmehrheit“ wurde schließlich der entsprechend geänderte Antrag des Bundesvorstands angenommen.

Das klare Votum verdeckt Meinungsunterschiede. An den Parteirat knüpfen sich sehr unterschiedliche Wünsche. Die einen wollen ihn als Instrument der Basis für die Kontrolle von Ministern und Fraktion nutzen. Es soll dafür sorgen, daß sich die Regierungsmitglieder im politischen Alltag nicht allzu weit von grünen Prinzipien entfernen. Andere sehen das Gremium auch als Instrument – aber mit genau entgegengesetzter Stoßrichtung. Sie möchten die noch immer als „unberechenbar“ gefürchtete Basis mit Hilfe des Parteirats in die Regierungsarbeit einbinden und programmatische Alleingänge der Partei verhindern.

Unstreitig war: es gab neue Posten zu vergeben. Die lockten. Noch während die Delegierten die grundsätzliche Frage erörterten, ob der Parteirat überhaupt geschaffen werden solle, wurden im Plenum bereits die ersten Bewerbungen verteilt. Mehr als 60 Kandidatinnen und Kandidaten stellten sich am Ende zur Wahl, und alle durften eine kurze Rede halten. Alle Versuche waren gescheitert, Landesvorstände, Minister oder die Fraktionsspitze als „geborene“ Mitglieder in den Parteirat zu entsenden. Auch die Parteiprominenz mußte sich der geheimen Wahl stellen. Und sie konnte des Erfolgs nicht sicher sein: Nur höchstens 12 Bewerber mit Mandat dürfen dem Parteirat angehören – die Basis soll die Mehrheit haben. Zu berücksichtigen waren beim Ergebnis außerdem die Frauenquote und die neu als verpflichtend eingeführte Ostquote.

Nach Jahren des ausgekungelten Strömungsproporzes war plötzlich die Basisdemokratie zu den Grünen heimgekehrt – ausgerechnet durch ein Gremium, von dem viele langfristig die Anpassung an die Struktur anderer Parteien erwarten. „Das ist nur beim ersten Mal so. Das nächste Mal gibt's da Vorabsprachen“, stellte eine Delegierte nüchtern fest. Einige konnten immerhin schon nach dem ersten Wahlgang aufatmen, darunter Bundesministerin Andrea Fischer, ihr Kollege Jürgen Trittin sowie die Fraktionssprecher Kerstin Müller und Rezzo Schlauch. Sie waren drin. Außenminister Joschka Fischer hatte sich gar nicht erst zur Wahl gestellt. Aus Termingründen war er ohnehin erst am Samstag abend beim Parteitag aufgetaucht und auch bald wieder gegangen. Ob er und seine Kabinettskollegen übrigens künftig einen großen Teil ihres Einkommens der Partei spenden müssen, darüber soll noch gesprochen werden: so der Inhalt eines von den Delegierten verabschiedeten Antrags. Wenn's um Geld geht, zeigen sich die Grünen traditionsbewußt, ebenso wie bei zwei anderen Entscheidungen: Die Delegiertenkonferenz soll auch in Zukunft nicht Parteitag heißen und aus den Parteisprechern sind auch in der neuen Satzung keine Vorsitzenden geworden. Immerhin aber bekommt die Bundesgeschäftsstelle ein bißchen mehr Geld.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen