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Außerirdisches im König(kachel)reich

■ Melancholische Poesie, Komik und Geschichten voll von absurdem Hintersinn geben die Würze in dem Stück „Das große Bauvorhaben“ von David Gieselmann im Dramatischen Theater

„Der König ist tot!“, lesen fünf Personen aus einer Zeitung vor. Die Leute sehen recht mitteleuropäisch aus, obwohl die Zeitung mit nicht zu entziffernden asiatischen Buchstaben beschrieben ist. Dies Königreich also, das sich da zwischen türkischen Badezimmerkacheln vor uns auftut, ist ganz zweifellos nicht von hier, auch wenn seine Untertanen aussehen wie du und ich.

Daß in diesem Königreich etwas faul sein muß, merkt man schnell. Als nämlich ein Mann eine Zeitung kaufen will, aber keine Zeitung bekommt, weil er keinen vernüftigen Grund für sein Ansinnen vorzubringen weiß. Keinen jedenfalls, den die beiden Zeitungsverkäufer auch nur annähernd akzeptabel finden. Dann kommt Libgart Dach von der Baubehörde und zitiert die drei Untertanen zur neuen Königin. Ihre Anwesenheit ist ganz unbedingt erforderlich, um das Vermächtnis des toten Königs zu erfüllen.

Aber da sind wir längst mitten drin im Stück „Das große Bauvorhaben“ von David Gieselmann, der es auch selbst inzenierte – im Dramatischen Theater in der Ackerstraße, das früher mal Theater im Schokoladen hieß (Bühne: Johanna Pfau). Dann kriegten die Wände ein bißchen goldene Farbe, ein dunkelroter Samtvorhang und ein Deckengemälde zitieren liebevoll ironisch gründerzeitlichen Theaterprunk. Als wollte man augenzwinkernd sagen: Ätsch, wir machen uns unser Staatstheater selbst!

Dann kommt Katryn, die junge Königin (Michelle Dittmer), im tiefroten Kleid. Aber sie will gar nicht Königin sein. Macht ist ihr lästig, zuwider im Grunde. Sie öffnet den Umschlag, der das Vermächtnis des Vaters enthält: Auf einem Grundstück vor der Stadt soll die Nachwelt ein großes öffentliches Gebäude bauen, das das Glück der Gesellschaft mehren soll. Bloß – was soll das für ein Gebäude sein, da haben die Untertanen ganz unterschiedliche Vorstellungen: Frau Dach von der Baubehörde (Antonia Holfelder) will eine Landerampe für Außerirdische, damit man hier nicht mehr so allein ist. Linus Wand, der Museumswächter (Peter Trabner), will natürlich ein Museum. Die Kunst dafür will er gerne selber malen. Peter, der Kioskbesitzer (Oliver Rickenbacher), träumt lieber von einem Gebäude, und wenn schon überhaupt eines gebaut werden muß: könnte es dann nicht ein Schwimmbad sein? Sein Bruder Vincent (Ronny Marzillier) will ein Parlament und gewinnt damit die Königin, die schließlich ihre Macht nicht mehr will.

Am Ende wird das Grundstück zum Grab. Interessengerangel und dunkle Geschichten aus der Vergangenheit der beiden Brüder verhindern die Verwirklichung des großen Bauvorhabens. Alles bleibt, wie es ist, bloß noch ein bißchen hoffnungsloser. „Wir sind allein auf dieser Erde!“, sagt Frau Dach zum Schluß, die doch eben noch an Außerirdische glaubte.

Es ist ein bißchen schade, daß Gieselmann sein Stück selbst inszenierte. Nicht unbedingt, weil er das besonders schlecht gemacht hätte, sondern weil er leider hinter den Möglichkeiten des eigenen Stückes zurückgeblieben ist. Die Figuren des Autors Gieselmann sind voll zarter, melancholischer Poesie. Die Geschichten voll von absurdem Hintersinn (manchmal vielleicht einen Hauch zu naiv). Der Regisseur Gieselmann vereinfacht dann und verpaßt dem Hintersinn einen Vordergrund aus Komik und Groteske, den er gar nicht nötig hätte, vor dem der Hintersinn aber schließlich verblaßt. Als hätte er erst etwas hingemalt und mit der nächsten Handbewegung wieder weggewischt.

Aber da ist Michelle Dittmer, und wenn sie kommt, ist jede Gefahr des Verblassens vorüber. Ihre Königin Katryn ist eine Verwandte von Büchners Lena, aber vielleicht auch von Gombrowicz' Prinzessin Yvonne. Ihr gelingt die Balance zwischen Poesie und Groteske in der idealen Dosierung. Mal ist sie handfeste Göre, im nächsten Augenblick wieder ein fast durchsichtiges Märchengeschöpf. Und ich würde sagen, daß man von dieser jungen Frau noch hören wird. Esther Slevogt

Weiter Spieltermine: 13. Dezember/ 15.–19. Dezember, jeweils um 20 Uhr im Dramatischen Theater in der Ackerstraße 169, Mitte

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