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Haarspangen und zerrissene Netzstrümpfe

Seit sich Berlins Musikszene vom Kreuzberger Hinterhofgeschrammel verabschiedet hat, kann sie wieder richtig Spaß machen. Doch von diesen Veränderungen war bei der sechsten Runde des alljährlichen Musikpoll Metrobeat in der Kulturbrauerei nichts zu spüren  ■ Von Susanne Messmer

Leute, die sich schwertun, Entscheidungen zu treffen, können einem ja mitunter sehr sympathisch sein. Veranstaltungen aber, denen die Unentschlossenheit wie Buridans Esel ins Programm geschrieben steht, quälen eben normalerweise nicht nur sich selbst. Wer sich am vergangenen Wochenende unter die große Schar mischte, die in die Kulturbrauerei strömte, um der sechsten Runde der alljährlichen Musikpoll Metrobeat beizuwohnen, dem drängte sich Ratlosigkeit regelrecht auf. Da spielten also an zwei Abenden auf zwei Bühnen 16 Bands aus Berlin und ließen sich anschließend von insgesamt acht Berliner DJs ablösen. Aber nach welchen Kriterien waren diese Bands ausgesucht?

Da waren zum Beispiel am ersten Tag unter den sogenannten Pollbands im Kesselhaus die unsäglichen Viktoriapark, die Jugendkultur wie auf Bestellung liefern wie für Zigarettenwerbung, gefolgt von den noch unsäglicheren Mondo Fumatore, die beharrlich und wirr am Hitpotential vorbeischrammeln, und das ohrenscheinlich nicht, weil sie es so wollen. Währenddessen bemühten sich in der Alten Kantine, dem Forum für Newcomer, ein paar nette Bands, die sich meist glichen wie ein Ei dem anderen. Ziemlich übellaunig und uninspiriert rannte das Publikum also trotz Eiseskälte immer zwischen den Bühnen hin und her, um schließlich am Ende – Überraschung! – doch noch belohnt zu werden: von der Dub- Guerilla-Gruppe Submission, die den schönsten, sonnigsten und anarchistischsten Dub hinjammten, den man sich in diesem trüben Winter ausdenken kann. Richtig so, daß sie den ersten Preis dieses Abends, einen der zwei Tourbusse vom Sponsor VW für die Dauer einer Tournee, gewannen.

Das Problem dieses Festivals, daß es nicht zu wissen scheint, was es will, wurde durch diese gute Wahl jedoch auch nicht vertuscht. Metrobeat will von allem ein bißchen, aber nichts so richtig, und das läßt die Auswahl der Bands so unmotiviert erscheinen: Einerseits will es Bands ein Forum geben und entdecken, die, weil ohne Plattenvertrag, normalerweise kein großes Publikum erreichen. Das erklärt die bunte Newcomerbühne, wo viele unwichtige Bands, aber auch ein paar Entdeckungen wie am nächsten Tag die triphoppigen Recorder auftreten konnten.

Metrobeat will hermetische Szenen einem breiteren Publikum öffnen. Andererseits will es aber einen repräsentativen Einblick in Berlins Musikszene ermöglichen, also kein reines Kraut-und-Rüben- Festival mit ausschließlich unbekannten Bands, sondern auch eine Veranstaltung mit Außenwirkung sein. Das erklärt, daß (wie in den vergangenen Jahren Element Of Crime, die Ärzte, Lassie Singers, Rosenstolz und Tarwater) in diesem Jahr Stereo Total und die Quarks zwar nominiert waren, sich aber entschuldigen ließen.

Berlins Musikszene hat sich in letzter Zeit sehr verändert. Noch vor nicht allzu langer Zeit, Alteingesessene singen davon schauerlichste Lieder, gab es hier bis auf ein paar Ausnahmen vor allem Kreuzberger Hinterhofgeschrammel.

Sei es rund um die Galerie berlintokyo mit ihren Spielkreis-Samplern und Bands wie Minitchef oder Jeans Team, sei es das Label Kitty-Yo mit seinen langen Labelnächten oder die Wohnzimmermusik bei Monika Enterprise – seit neustem kann es mitunter viel Spaß machen, ein bißchen Lokalpatriotismus zu pflegen und Bands anzusehen, die man am nächsten Nachmittag beim Schrippenkauf wiedertreffen kann. Doch von diesen Veränderungen war bei Metrobeat nur wenig zu spüren. So waren genau die Gruppen die Ausnahme, die Berlins Musik wieder hörbar gemacht haben.

Am zweiten Tag waren da eigentlich nur Mina. Mina sind eine wirklich wunderbare Band. Ihre Musik, die irgendwo zwischen Postrock und 60ern liegt, ist auch ohne Vocals so schön harmonisch wie Pop, aber gleichzeitig hintenherum so plötzlich wie Karlsson auf dem Dach, total unaffektiert, entspannt und humorvoll. Wer sich das anhören wollte, mußte vorher und hinterher Bands über sich ergehen lassen, die eher nicht zu ertragen sind. Delicate, die eine ganz und gar unoriginelle Mischung aus HipHop und Big-Band-Soul veranstalten, versuchten ihr Publikum durch eine kurvenreiche „Frontfrau“ zu gewinnen, die eine alberne Bühnenshow abzog.

Das Schrecklichste aber lauerte gleich nach Mina: Susie van der Meer, die schon namentlich an das blödeste Girlie der Musikgeschichte, an Lucilectric, erinnert – man hätte Fersengeld geben sollen. Statt dessen ließ man ihre Klänge und Gesänge über sich ergehen, völlig belanglosen, schmollmundigen Gitarrenpop, der noch einmal an den Marktwert von Haarspängchen und zerrissenen Netzstrümpfen anzuknüpfen versucht. Prompt waren es nicht Mina, die den zweiten Tourbus gewannen, sondern Susie van der Meer. Eine seichte Entscheidung, die einem bei einem reinen Newcomer- Festival erspart geblieben wäre.

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