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Egal, wann der Bus kommt

■ Wer soviel Zeit hat, kann sich heute über drei Stunden mit der Zeit beschäftigen (Themenabend "Zeit - die Uhr im Kopf", 21.35 Uhr, Arte)

Arte hat Zeit. So viel Zeit, daß sogar zu Zeiten des öffentlich- rechtlichen Monopolfernsehens in der grauen Vorzeit Kulturredakteure in neidisches Grübeln verfallen wären, hätten sie gesehen, wieviel Raum der Sender für seine Themenabende hat. Drei Stunden und zehn Minuten: „Zeit – Die Uhr im Kopf“. Kann man das bringen?

Arte kann. Trotzdem weiß der „Tick-Tack-Mensch“, die Hauptfigur der Auftaktglosse, nicht recht, was er will. Da fliegt immer wieder eine Fliege durchs Bild, da eilt eine feine Dame durch die Stadt, nur um zu sagen, daß sie etwas später kommt, Schlangen von Menschen warten auf der Post, und eine Schnecke überquert eine Straße. Kuhaugen sollen illustrieren, daß man in Europa nach der Uhrzeit lebt, in Burundi aber danach, wann die Kühe weiden gehen. So geht es vom Hundertsten ins Tausendste. In New York gehen die Fußgänger am schnellsten, in Mexiko wartet man am längsten am Postschalter. Als Marokkos König zur englischen Königin eine Stunde zu spät kam, waren die Engländer verstimmt, während die Marokkaner beteuerten, ihr König könne gar nicht zu spät kommen – wenn er komme, sei immer die richtige Zeit. Andere Länder, andere Zeiten.

Aber ist es so? „Je südlicher ein Land ist, desto langsamer ist es“ – wirklich? „Im Westen richtet man sich nach der Uhr, in den meisten anderen Kulturen richtet man sich danach, was sich ereignet“ – tatsächlich? Ist es den Indern wirklich egal, wann der Bus kommt? Am besten funktioniert dies Sammelsurium noch am Schluß. Die Fliege putzt sich und putzt sich, eine Uhr tickt und tickt, und dann, nach 71 Sekunden – rums! – ist sie tot.

Die Dokumentation „Tourbillon – Wirbelwind“ (um 21.50 Uhr) hat das Material besser im Griff. Zwar wird auch hier alles mögliche durcheinandergeworfen, doch die Geschichten gruppieren sich um einen Ort und eine Person. Es geht um die Kathedrale von Beauvais, an der seit 700 Jahren gebaut wird und in der auch eine der ersten kirchlichen Uhren steht. Und es geht um den Uhrmacher Abraham Louis Breguet, der für Ludwig XVI., die Jakobiner und Napoleon Uhren baute, die Armbanduhr erfand und die ersten genau tickenden Uhren – eben jene Tourbillons. Hier gehört alles zusammen: die Eisenbahn, die eine Einheitszeit nötig machte, die Revolutionäre, die die Bahn nahmen, Voltaire, der eine Uhrenfabrik gründete, und Alexander v. Humboldt, der ein übersichtliches Ziffernblatt wollte. Die Zeit kann man sich nehmen. Und wenn man einen Maurer auf dem Gerüst sieht und es fallen Sätze wie „Kathedrale: das war schon immer die Sache mit den Eimern“, macht das sogar schöner, klüger und zufrieden.

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