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Ruhmreiche Vergangenheit – diffuse Zukunft

■ Die Kulturinitiative „Anstoß“ nimmt sich jetzt Radio Bremen zur Brust und trifft auf eine ratlose Teilbelegschaft

Heute morgen hat Herr Koch wieder im Sender angerufen. Denn Herr Koch ist eine Institution bei Radio Bremen. Herr Koch ruft nämlich fast immer an, wenn im Journal am Morgen auf Radio Bremen 2 etwa um 20 vor acht „Weeer oder wass?“ gefragt wird. „Weeer oder wass?“ wird fünfmal in jeder Woche gefragt, und viermal in jeder Woche kann man durch Anruf ein Buch, ein Buchpaket „oder – wie immer – zwei Kinokarten“ gewinnen. Herr Koch muß Radio Bremen nach all den Jahren schon eine ganze Bibliothek verdanken. Doch wenn es nach den Ministerpräsidenten der Südländer der Republik geht, könnte Herr Koch bald ernste Nachschubsorgen haben.

Den Herren Teufel, Stoiber, Biedenkopf und Teilweise-Eichel ist die Bibliothek von Herrn Koch ebenso schnuppe wie alles andere, was vor und nach „Weeer oder wass?“ sonst noch bei Radio Bremen passiert. Denn in einem nicht nur vom ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, Ernst Gottfried Mahrenholz, diagnostizierten Stellvertreterkampf um die föderale Struktur dieses Staates wollen die Ministerpräsidenten Radio Bremen an den Subventionstopf. Mindestens bis zum Jahr 2000 erhält der kleinste ARD-Sender 81,5 Millionen Mark (1997) oder rund 40 Prozent seines Etats aus dem Rundfunkfinanzausgleich. Danach wird es innerhalb von null, vier oder acht Jahren weniger. Ob 40 Millionen, 81,5 Millionen oder 20 Millionen Mark gestrichen werden, weiß bis zur nächsten Pokerrunde aller MinisterpräsidentInnen im Frühjahr 1999 keiner so genau. Für Herrn Koch indes wäre nur bei der schlimmstmöglichen Wendung das „Weeer oder wass?“-Spiel zu Ende. Für die Bremer Kulturinitiative „Anstoß“ aber wäre schon ein kleiner Schnitt in die Wurst ein Schnitt zu viel. Deshalb nimmt sie sich jetzt Radio Bremen und dabei vor allem Radio Bremen 2 zur Brust.

„Natürlich haben wir Angst, daß das Kulturprogramm wegfällt“, sagt der ansonsten kämpferische Intendant des Bremer Theaters, Klaus Pierwoß. Zusammen mit der Galeristin Katrin Rabus bildet er das inoffizielle Führungsduo der Initiative und hat nach „Anstoß“-Zählweise zur ersten Diskussion „Medienöffentlichkeit und Kultur – am Beispiel Radio Bremens“ in die Galerie an der Plantage geladen. Als Vorbereitung hatte Katrin Rabus einen Mahrenholz-Beitrag aus der FAZ 150mal kopiert und verschickt. Darin warnt der ehemalige Verfassungsrichter und Pro-Radio-Bremen-Gutachter: „Entfällt etwa das Bremer Radio-Kulturprogramm, dann gibt es von Frankfurt an der Oder bis Emden und von Göttingen bis Flensburg nur ein einziges Kulturprogramm (mit regionalen ,Fenstern'), das sich für diesen Raum redaktionell verantwortlich weiß.“ Es ist tatsächlich höchst unwahrscheinlich, daß da noch ein Fensterplatz wäre für ein 15-Minuten-Gespräch aus der Gesellschaft für aktuelle Kunst oder für eine ganze Stunde Vorbericht zur Operettenpremiere am Goetheplatz. Trotzdem sind (zum Auftakt der Debatte) nur wenige kulturell aktive BremerInnen und bekennende Radio-Bremen-HörerInnen in die Galerie gekommen. So traf „Anstoß“ zum Generalthema „Was wollen wir von diesem Sender?“ auf eine Quasi-Redakteursversammlung mit der Herkunftsmehrheit Radio Bremen 2.

Man spielt das „Anstoß fragt – Radio Bremen antwortet“-Spiel. „Sie als Programmacher können doch die Gelegenheit nutzen, um Ihre Vorstellungen vom Radioprogramm zu erläutern“, fordert Klaus Pierwoß die Runde auf. Doch die ist auf Selbstdarstellung gar nicht vorbereitet. Erst zögerlich bekennt Libuse Cerna (früher Radio Bremen 4, jetzt Bremen 2): „Wir müssen mehr klappern.“ Erst auf weiteres Nachhaken selbstlobt Kulturwellenchef Jochen Schütt Radio Bremen für das „Ganz weit vorn“-Sein in Sachen Internet. Und erst spät erinnert Hörspielregisseur Gottfried von Einem an Loriot, Kerkeling, Rudi Carell und andere Figuren aus dem Trophäenschrank, bis Fernseh-Chefredakteur Christian Berg kontert: „Ruhmreiche Vergangenheit – diffuse Zukunft!“

Es ist eine bemerkenswerte Ratlosigkeit, mit der viele MitarbeiterInnen der nehmenden Anstalt auf die Krise reagieren. Oder lähmt die Anwesenheit von Noch-Hörfunkchef Hermann Vinke, wie ein Diskussionsteilnehmer vermutet, den Radio-Leuten die Zunge? So oder so: Der im Kulturkampf erprobte Klaus Pierwoß wird regelrecht sauer darüber. Mit lauter Stimme hält er den Anwesenden vor: „Es gibt Zeiten, in denen man der Öffentlichkeit vermitteln muß, was passiert, wenn man abgeschafft, amputiert oder kastriert wird.“ Die Entgegnung, im Gegensatz zum Bremer Theaterstreit werde Medienpolitik nicht allein in Bremen entschieden, bringt Pierwoß nicht von seiner Überzeugung ab.

Eine inhaltliche Diskussion haben die von „Anstoß“ am Montag abend führen wollen. Doch Katrin Rabus, die den Sender als Rundfunkrätin eigentlich in all seinen Schattierungen zu kennen glaubte, gibt sich in der Nachlese auf Anfrage ratlos über so viel Ratlosigkeit. Was ehrlich ist. Was dagegen (auch die Leute von Radio Bremen) nervt, sind die Nostalgiker, die an „Das ist Radio Hanoi!“ und andere Beschimpfungen aus CDU-Kreisen erinnern. Peter Schulze, der Jazz- und Pop-Kenner des zweiten Programms dazu: „Wir haben seit Mitte der 80er Jahre viel provozierendere Sachen gemacht als die Jugendsendung Popkarton. Das interessiert heute nur keinen mehr.“

Katrin Rabus indes hofft noch, daß sich mehr Leute für inhaltliche Fragen interessieren. Eine formuliert „Anstoß“-Aktivist Michael Bömers: „Radio Bremen soll eine Kulturinstitution bleiben. Aber es ist ein Diskussionsthema, ob das nicht auch als NDR-Studio machbar ist.“ Weitere, am Montag noch nicht gestellte Fragen: Muß ein Regionalmagazin wie Buten & Binnen den Bubis-Walser-Streit aufbereiten – nur weil Mitstreiter Klaus von Dohnanyi in Bremen ist? Oder: Ist es der kluge Kommentar zur Kommerzialisierung des Fußballs nicht wert, von mehr als „nur“ 20.000 Radio-Bremen-2-HörerInnen gehört zu werden? Oder: Was haben Produktionen wie „Ohne Mama geht es nicht“ im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu suchen? „Weeer oder wass?“ Herr Koch, übernehmen Sie. Christoph Köster

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