: Zwei Schüsse, ein Toter, drei Tage Unruhe
Seit dem Tod eines Jugendlichen durch Polizeikugeln in der Nacht zum Sonntag herrscht Aufruhr im südwestfranzösischen Toulouse. Die Vertuschungsversuche der Polizei sind diesmal ausgesprochen dämlich ■ Aus Paris Dorothea Hahn
„Intifada“, sagte eine atemlose Frau gestern morgen in das Mikrofon eines französischen Radiosenders, „in Toulouse ist Intifada.“ Seit am Sonntag mittag bekannt wurde, daß ein Junge aus der Banlieue von Toulouse tödlich von einer Polizeikugel getroffen wurde, kommt die südwestfranzösische Großstadt nicht mehr zu Ruhe. Mehrere hundert Jugendliche in kleinen Gruppen hatten bis gestern bereits mehrere Dutzend Autos in der Banlieue verbrannt.
Der Tod des 17jährigen Habib trägt zahlreiche Anzeichen einer polizeilichen Schweinerei. Der Junge war in der Nacht von Samstag auf Sonntag zusammen mit einem Freund an Bord eines gestohlenen Citroän unterwegs, als es zu dem Zusammentreffen mit den „flics“ kam, wie sein überlebender Freund der Tageszeitung Libération berichtete. Nach Recherchen von Le Monde kam die tödliche Kugel aus der Dienstpistole des Patrouillenchefs Henri Bois (41), der zusammen mit drei anderen Polizisten auf nächtlicher Streife unterwegs war. Die Polizisten wollen die beiden Jungen dabei beobachtet haben, wie sie versuchten, einen BMW zu stehlen.
Das meldeten sie nach dem Ende ihrer Dienstfahrt auf der Wache. Was sie regelwidrig verheimlichten, ist, daß sie bei der versuchten Festnahme der beiden Jugendlichen zwei Schüsse abgaben – einen offenbar in die Luft, den anderen aus nächster Nähe in den Körper des Jugendlichen. Die vier Polizisten kümmerten sich nach den Schüssen, die sie verheimlichen wollten, auch nicht um die beiden flüchtenden Jugendlichen, von denen einer tödlich verletzt war. Sie verließen den Tatort und schwiegen. Le Monde zitiert „polizeiliche Quellen“, wonach zwei Polizisten zu einem späteren Zeitpunkt in der Nacht noch einmal zum Tatort zurückgekommen sein sollen – möglicherweise, um Tatspuren zu beseitigen.
Habib konnte noch rund 300 Meter weit laufen. Mehrere Stunden später fand eine Passantin, die ihren Hund Gassi führte, seine Leiche auf der Straße.
Erst nach dem Bekanntwerden von Habibs Tod lösten sich die Zungen der vier Polizisten. Statt wenigstens zu diesem Zeitpunkt die Wahrheit zu sagen, beschuldigte nun der Chef Henri Bois den Hilfspolizisten, den tödlichen Schuß abgegeben zu haben. Inzwischen haben ballistische Untersuchungen den Patrouillenchef widerlegt. Er ist jetzt vom Dienst suspendiert, der Staatsanwalt ermittelt. Die aktuelle Version der Täter ist, die beiden Schüsse seien „versehentlich losgegangen“. Habibs überlebender Freund liefert in Libération eine andere Version. „Wir wollten den BMW nicht stehlen“, sagt er, „wir haben es nicht einmal versucht. Als die Bullen kamen, wollten wir im Rückwärtsgang abhauen. Aber die hatten Waffen und haben geschossen.“
Die Schüsse von Toulouse sind bloß das jüngste Ereignis einer langen Serie von Gewalttaten französischer Polizisten. Vor beinahe genau einem Jahr erschoß ein Polizist in der südlichen Banlieue von Paris einen Jugendlichen nach einer Verfolgungsjagd aus unmittelbarer Nähe. Dort sind die über die schleppende Ermittlung wütenden Freunde des damals Erschossenen bereits seit mehreren Wochen erneut auf der Straße. In Toulouse planten die Mitschüler des Gymnasiasten Habib für gestern nachmittag einen Schweigemarsch.
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