Kathartisches Christkind

Die US-Noisecoreler Colossamite und der Digitalterrorist Shizuo traktieren die Körper  ■ Von Holger in't Veld

Strategien gegen Weihnachten – oder was auch dieses Jahr garantiert nicht im Familienkreis gehört wird. Adventlich, feierlich, gar besinnlich ist das, was da kurz vor dem heiligen Abend über die Stadt kommt, wirklich nicht. Skin Graft und Digital Hardcore, die beiden Label-Verbände, aus denen diese Gruppen entstammen, stehen für musikalischen Extremismus und haben dennoch kaum Berührungspunkte. Verkürzt gesagt, geht es um die Grenzbereiche von Rock und Techno – und zwar sauber voneinander getrennt.

Kein Sequencer ordnet den freien dynamischen Fluß aus Chicago, kein handgespieltes Instrument verwässert den digitalen Terror aus Berlin, London und Köln. Was in Zeiten von Sound-Design wie Haarspalterei anmuten mag, erklärt sich durch das künstlerische Selbstverständnis und den Umgang mit Geschichte. Der Ansatz von Skin Graft ist dabei konservativer, ihr ästhetisches Konzept trotz Punk-Gestus deutlich an geschichtlichen Traditionen von Rock und Avantgarde festgemacht. Be-sonders deutlich wird das in der Label-nahen Kreativzelle Jim O'Rourke, der behende zwischen totalem Trash und feinsinnigem Minimalismus changiert.

Auch die harten Männer von Colossamite können spielen und stehen damit in Bezug zum frickeligen Jazz-Core der frühen Neunziger. Weitaus wichtiger ist jedoch die Verbindung zum kleinstädtisch-klaustrophobischen Psycho-Noise, der in jenen Jahren die Firma Amphetamine Reptile hervorbrachte. Einfach macht es sich das Quartett aus Minneapolis, das sich im Cover ihrer CD erstaunlicherweise ein Lächeln abringt, jedenfalls nicht. Diese Band fordert zum Ringkampf ohne Regeln, und es herrscht keine Sekunde Zweifel, wer gewinnen wird. Das verbindet sie mit den Melvins: ständige Bedrohlichkeit und lineare Spannungsbögen trotz großer Dynamik. Und wenn hier geschrieen wird, dann ist das weder Rock noch Hardcore, sondern ein angeschossenes Tier, von Schmerz und Wut getrieben, gedrückt, sich windend. Musik ohne körperliche Verhaltensmuster.

Für die versammelten Mitglieder der Digital Hardcore-Familie dagegen ist der Körper eine eher zweidimensionale Angelegenheit. Die übersteuerten Rhythmus-Attacken haben nur eine Richtung: Wer im Weg steht, wird zur Zielscheibe. Besonders plakativ umgesetzt findet sich dieser Vorschlaghammer in Shizuos CD-Booklet, einer Ansammlung kunst- und pointenlos auf Papier gerotzter Comic Strips mit größtmöglicher politischer Unkorrektheit. Das soll seinem monströsen Klanggewitter einen gewollt provokativen Anstrich geben. Hier sollen Dämme brechen, und Shizuo, ein kaum volljähriger Berliner, steht bereit, alle negativen Kräfte in Energie zu transzendieren. „Diese Platte vergibt euch eure Schuld“, steht es auf der Verpackung, also laßt sie heraus.

Schließlich geht es darum, „das Innere nach außen zu kehren“, wie Panacea, der herausragende Vetreter des anderen deutschen Digitalterror-Verbunds Position Chrome, ausführt. Ein Konzept, das auch EC80R und Bomb 20 verfolgen, dabei aber längst nicht Shizuos unmittelbare Hysterie erreichen. Der wiederum – und hier berühren sich am Ende doch die betonierten Konzepte – gegen das digitale Ethos verstoßen und seine Attacke im Bandformat fahren wird. Das verspricht Superpunk und einen Abend, an den sich Körper (und Gerät) noch lange erinnern werden.

Shizuo, EC80R, Bomb 20: Do, 17. Dezember, 21 Uhr, Logo / Colossamite: So, 20. Dezember, 21 Uhr, Molotow