: Mit der Maus zum frommen Gebet
■ Das Web ist ein christlicher Supermarkt. Neben den offiziellen Kirchen tummeln sich religiöse Schwärmer aller Art. Auch die Apokalypse hat schon begonnen: Wer noch vor der Jahrtausendwende büßen will, kann d
Die Kirchen werden leerer, die Netze voller. Doch deswegen muß der Auftrag scheitern, den der Rabbiner Joshua von Nazareth seinen Evagelisten und Jüngern erteilte. Denn auch mit den Datennetzen können Christen Menschenfischer werden.
Die offiziellen Homepages der Kirchen, ob katholisch (www .vatican.va), orthodox (www.gwdg.de/grabo/sok), alt-katholisch (www.alt-katholisch.de) oder evangelisch (www.ekd.de), sind allerdings eher vom Geist der Verzagtheit denn vom göttlichen Funken der Kreativität erfüllt. In der Regel erschöpfen sie sich in Informationen über Religion und Kirche. Die Möglichkeiten virtueller Frömmigkeit oder religiöser Gemeinschaft im Cyberspace bleiben weitgehend unerforscht.
Aber es zeigen sich auch schon erste Versuche, aus der pastoralen Eingleisigkeit auszubrechen. Vor etwa drei Monaten hat die evangelisch-methodistische Kirche unter home.t-online.de/home/emkneuenhain/virtuell.htm eine virtuelle Gemeinde gegründet. Von der Website aus können persönliche Gebetsanliegen übertragen werden, für die dann die reale Gemeinde betet. „Damit versuchen wir vor allem Kirchendistanzierte zu erreichen“, erläutert Webmaster Ulrich Trick das Angebot. Ein seelsorgerlicher Chat-Room ist geplant, doch bislang sind die Zugriffszahlen dafür noch zu niedrig. Dennoch ist Trick begeistert. Mit der Homepage zu „fischen“ sei „viel einfacher als mit einer Einladung oder dem Gemeindebrief“.
Auch Uwe Ritter, Webmaster der evangelischen „Pfarrer Online Seiten“ (www.ekhn.de/p-online), meint, das Internet senke die Hemmschwelle: „Man schickt doch eher eine Mail an einen Pfarrer online, als daß man sich beim Gemeindepfarrer zum Gespräch anmeldet.“ Virtuell-interaktive Gottesdienste sind im deutschsprachigen Web aber wohl weiterhin Zukunftsmusik. Der Jesuit Christof Wolf, auf dessen Website (www.hfph.mwm.de/chwolf/lupus.html) zwar multimedial die Wölfe heulen, hat pragmatische Einwände: „Bei der Spendung der Sakramente kann es keine virtuelle Seelsorge geben. Mit Hostie, Taufwasser oder Handauflegung sind sie ja an eine bestimmte materielle Grundlage gebunden.“
Auch eine Beichte im Internet, wie sie unter www.beichte.de angeboten wird, kann sich Wolf schwer vorstellen. Es handle sich dabei um ein „sensibles zwischenmenschliches Geschehen, das die technische Verfremdung durch das elektronische Medium nicht unbeschadet überstehen“ könne.
Tatsächlich ist zu bezweifeln, daß die Möglichkeit, unterhome .gs.verio.net/music/vrosary/index.html einen virtuellen Rosenkranz downzuloaden und sich mit leichten Klicks auf den „Amen“-Button vor dem Bildschirm meditativ ins individuelle Gebet zu versenken, die Chancen des WWW bereits zur Genüge ausschöpft. Die christlich- religiöse Szene im Internet wird von evangelikal-charismatischen Kreisen beherrscht. Trotz des plakativen Glaubens, den solche Seiten verkünden, trifft man aber auch hier eher auf Zurückhaltung, wenn es um virtuelle Seelsorge geht. Für eine erste Hilfe könne das Internet „ja sehr positiv“ sein, glaubt Uwe Dahlke, Pastor im Christlichen Zentrum Karlsruhe (ourworld.compuserve.com/homepages/czk/). „Aber die persönliche Seelsorge kann das Netz nicht ersetzen.“ Dahlke vermißt „emotionale Reaktionen“, die nicht übertragen werden können. Gerade die seien aber besonders wichtig in der seelsorgerlichen Interaktion.
Ein weiteres Problem ist die Pluralität. Das Web ist ein religiöser Supermarkt. Ein Evangelist wie Erwin Hilbert (www.nordkom.netsurf.de/Erwin.Hilbert) steht neben den überkonfessionell-coolen „Jesusfreaks“ (www.jesusfreaks .com) oder esoterisch Angehauchtem wie „Sabine's Lichtseiten“ (members.xoom.com/Sabi125ne/ index.html). Ein babylonisches Stimmengewirr. Offenbar ist die Versuchung groß, sich durch die Kombination verschiedener Elemente einen je eigenen religiösen Flickenteppich zusammenzunähen. Daß die Konturen von Verbindlichkeit und Konsequenz dabei nach allen Ecken ausfransen, stört keinen der gläubigen Geister.
Kann sich der User, der zufällig in die spirituellen Fänge des Webs gerät, dem Strom pluraler Frömmigkeit überhaupt noch entziehen? Matthias Nauerth vom „Bund der religiösen SozialistInnen“ (homepages.teuto.net/cus) bleibt nüchtern: „Das Internet ist so fromm wie jede deutsche Innenstadt.“ Dort gebe es neben den verschiedenen Kirchen auch Kaufhäuser, Kneipen, Theater und Zuhälterei. „Aber natürlich ist so eine Innenstadt nicht fromm, nur weil da zwei Kirchen stehen und eine christliche Jugendgruppe gerade Weihnachtslieder singt.“
Auch Ute Obernberger, unter home.nordwest.net/utes-own mit einer informativen und witzigen Homepage als bekennende Atheistin ausgewiesen, sieht das Internet nicht als „fromme Veranstaltung“. Aber sie beobachtet, daß Christen seine Anziehungskraft entdecken. „Die Kirchen sind dabei, ihre Institutionen und ihr Geld dafür einzusetzen, um ihren Einfluß auch hier zu maximieren.“ Allerdings biete das auch eine Chance. Denn die meisten christlichen Websites böten Foren und Gästebücher, in die man skeptische Bemerkungen eintragen könne. Ute Obernberger nutzt diese Möglichkeit fleißig, „aber das Gesamtangebot ist wirklich zu groß, um alle beglücken zu können“.
Daß einer Atheistin die Apokalypse der Jahrtausendwende nicht recht deutlich geworden ist, verwundert nicht. Reuige SünderInnen dagegen und solche, die reuig werden wollen, können sich von den Schweizer „Internet-Aposteln der letzten Zeiten“ unter www.etika.com/index.htm zu Buße und Gebet ermahnen lassen. „Die Apokalypse hat längst begonnen“, ist zu lesen, und von Aids bis zum Erdbeben von Assisi werden Zeichen für das Ende der Zeiten identifiziert. Wer sich ob mangelnder Bußfertigkeit schon mal in der Hölle umhören will, kann unter www.av1611.org/hell.html einem RealAudio-File aus fünfzig Kilometer unter der Erdoberfläche lauschen: Schreie verdammter Seelen online.
Walter Jungbauer
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