: Leisetreten im Schatten des Onkels
PKK-Führer Abdullah Öcalan ist frei. Für die Berliner Kurden ist das nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln. Asti Kara hofft, daß nun endlich „alles auf den Tisch gepackt“ wird. Und Ridwan Osman möchte sich nicht von der PKK einschüchtern lassen ■ Von Constanze v. Bullion
Das mulmige Gefühl ist schwer zu orten. Es meldet sich nicht nur, wenn sie von den Kellern erzählt, in den man sie gezerrt hat. Es hat auch nicht allein mit den Schlägen und den Soldaten zu tun. Beunruhigend ist der Gesichtsausdruck, mit dem Asti Kara (*) über ihr Leben redet.
Die junge Kurdin, die sich in ihrer winzigen Wohnung in einem Berliner Plattenbau ein bißchen schüchtern zwischen Öcalan- Fahne und tobenden Kindern fotografieren läßt, kann mit öffentlichen Emotionen wenig anfangen. Tränen sind etwas für Leute, die sich Schwäche erlauben können.
Asti Kara erzählt ihre Lebensgeschichte, damit die Welt erfährt, was in Kurdistan passiert. Zügig und scheinbar unbewegt tut sie das, und nur für Sekunden bricht durch, was sie dabei fühlt. „Das kann ich nicht“, sagt sie mitten im Satz, zieht die Augenwinkel zusammen und läßt das Gespräch jäh abstürzen. „Vielleicht später mal.“
Später mal. Nächstes Jahr. Oder gar nicht. Wer sich dieser Tagen durch kurdische Biographien fragt, bewegt sich auf vermintem Gelände. Da reißen Sätze ab, werden Gespräche unterbrochen, Interviews zurückgezogen. „Schreiben Sie das bloß nicht“, heißt es regelmäßig am Ende langer Unterhaltungen über den Krieg im Südosten der Türkei. Es wird heftig diskutiert unter Deutschlands Kurden, doch um öffentliche Auftritte reißt sich niemand. Schon gar nicht, wenn es um Kritik an der PKK geht. Wer will schon als Verräter dastehen, ausgerechnet jetzt, wo das Schicksal von „Apo“, dem Onkel, wieder offen ist.
Seit Mittwoch ist PKK-Chef Abdullah Öcalan ein freier Mann. Die italienische Justiz verzichtet vorübergehend auf ein Verfahren, Bonn will an einem internationalen Prozeß festhalten – theoretisch zumindest. Jubel über die Entscheidung dürfte derzeit nur bei den Hardlinern der PKK ausbrechen. Gerade die gemäßigten deutschen Exilkurden knüpfen große Hoffnungen daran, daß der Kurdenkonflikt endlich auf höchster Ebene verhandelt wird. Jetzt, so hört man in Berlins Kurdenvereinen, wo in Europa die Linken regieren und ein Öcalan nicht einfach ausgeliefert wird, werde die EU auch die Türkei zu Verhandlungen zitieren müssen.
Durch einen Prozeß würden die Leute wachgerüttelt“, hofft Asti Kara. „Sollen sie doch alles auf den Tisch packen, die türkische und die kurdische Seite, und entscheiden. Falls wir Unrecht haben, wollen wir das auch erfahren.“ Auszusprechen, daß es „Unrecht“ auf kurdischer Seite geben könnte, ist schon ein ziemlich großer Schritt für Asti. Denn Anlaß zur Nachsicht hat sie wenig. Hochschwanger, 16 Jahre alt und bis auf die Knochen abgemagert wurde sie 1994 im Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer abgeliefert. An ihrer Glaubwürdigkeit bestand kein Zweifel, man bot ihr sofort einen Therapieplatz an, weiß Aso Agace. Die Leiterin von Hinbûn, einer kirchlich getragenen Beratungsstelle für kurdische Frauen, übersetzt, was Asti erzählt.
Zu den Dingen, über die sich leicht reden läßt, gehört das Dorf, aus dem Astis Familie stammt. Ihr Vater war ein „Aga“, ein kurdischer Großgrundbesitzer. Neben Geld, Ländereien und einem stattlichen Haus hatte er das Sagen in den fünf Dörfern der Region. Asti war zwei Jahre alt, als 1980 das türkische Militär putschte, seit sie denken kann, unterstütze ihr Vater den bewaffneten Kampf mit Geld. Auch die PKK. Und bezahlte teuer dafür.
In der Türkei gehört es zu gängigen Methoden staatlichen Terrors, sogenannte „Separatisten“ vor den Augen der Familie zu mißhandeln. Asti Kara mußte zusehen, wie ihr Vater auf der Polizeiwache ausgezogen und zu Boden geprügelt wurde. Als er nicht klein beigab, nahm man sich seine Kinder vor. Etwa zehn Männer waren in dem Keller, in den sie mit ihrem Bruder gezerrt wurde. „Sie haben uns nackt ausgezogen und in kaltes Wasser gesteckt. Dann haben sie mich runtergedrückt, bis ich ohnmächtig wurde.“ Asti war damals 13 Jahre alt.
Die Familie zog in die Stadt Midiat, geholfen hat das nichts. Was Asti wenig später in den Verließen der türkischen Gendarmerie passierte, kann sie bis heute nicht aussprechen. „Sie haben mich angefaßt“, sagt sie nur, oder: „Sie haben Sachen gemacht, die ich nicht wollte.“ Als es vorbei, warf man sie blutüberströmt ihrer Mutter vor die Haustür. Weil das Krankenhaus das Mädchen nicht aufnahm, kam ein Arzthelfer, „der macht sonst Beschneidungen und so was“. Ein paar Wochen lag sie im Bett. Dann wurde sie verheiratet.
Asti muß es wohl als Glücksfall betrachten, daß ihre Eltern sie wegbrachten. Kurdische Frauen, die in die Hände türkischer „Sicherheitskräfte“ fallen, gelten als entehrt und finden oft nur schwer einen Ehemann. Zur Demütigung durch den Gegner kommt die Ächtung durch die eigenen Leute. Heimlich heiraten und – im sechsten Monat schwanger – das Land verlassen, befahl der Vater. „Einerseits hat er mich gerettet“, sagt Asti nachdenklich, „aber andererseits hat er mir auch eine Aufgabe gegeben.“
Wenn man Asti fragt, was ihre Aufgabe ist, erinnert sie an ihren Bruder, der im Knast sitzt, seit er 15 Jahre alt ist. Sie erzählt von den Eltern, die auch nach Berlin flohen, und verweist auf ihre Kinder. Ihre wichtigste Aufgabe erwähnt Asti nicht: Sie trägt ihre Geschichte an die Öffentlichkeit, um Verständnis für den Kampf der Kurden zu wecken. Wer diese zerbrechliche Person anschaut, die redet, als würde sie lieber die Zähne zusammenbeißen, die alles will, nur kein wehrloses Opfer sein – der begreift, aus welchen Quellen sich die Militanz der PKK speist.
Was bleibt, ist das mulmige Gefühl. Wer könnte angesichts solcher Biographien bezweifeln, daß die sich die EU nicht aus der Verantwortung stehlen darf? Wer würde widersprechen, wenn Kurden aller politischen Lager betonen, daß man keinen Öcalan anklagen kann, ohne die türkische Führung unter Druck zu setzen? Auch amnesty international wies im jüngsten Kurdistan-Papier darauf hin, daß die türkische Regierung sich nicht aus der Affäre ziehen kann, indem sie stereotyp auf die despotische Herrschaft Abdullah Öcalans verweist.
Der „Apo“ allerdings ist auch in den eigenen Reihen umstritten. Man muß die Demokraten unter den Exilkurden fragen, muß sich der befangenen Atmosphäre in den Hinterzimmern PKK-ferner Vereine aussetzen, um zu verstehen, wie eng der Spielraum der Leute ist, die aus dem Kreisel von Gewalt und Gegengewalt aussteigen wollen. „Die PKK hat meine besten Freunde umgebracht“, erzählt jemand, der jahrelang mit demokratischen Kurden aktiv war, aber seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. „Weil ich nicht bei der PKK mitmachen wollte, wurde ich von Verwandten bedroht“, berichtet ein anderer – und nimmt seine Aussage umgehend zurück.
„Da wird psychologischer Druck ausgeübt“, weiß Mustafa Kisabacak, Vorsitzender des Kurdenverbands Komkar. Hier steht man den Öcalan-Jüngern kritisch gegenüber, würde sich aber hüten, ihnen in den Rücken zu fallen. 1993 wurde ein Burgfrieden mit der PKK beschlossen, man einigte sich formal auf eine föderative Lösung der Kurdenfrage. Daß die Kommandeure aus den Bergen andersdenkende Brüder bis nach Deutschland verfolgen, ist seither selten geworden, weiß Rüdiger Hesse vom niedersächsischen Verfassungsschutz. Die Sammelbüchse für den schnauzbärtigen Führer macht jedoch nach wie vor die Runde. Nach dem Motto: „Wir geben unser Blut für die Heimat, du gibst nur dein Geld.“
Ridwan Osman lacht nur und schüttelt den Kopf, wenn man ihn fragt, ob er sich von der PKK einschüchtern läßt. Keine Öcalan-Fahne und keinen Heimatkalender gibt es in seiner hellen Wohnung, wo sich eine angefangene Dissertation in der Ecke stapelt, wo Tee serviert wird und viel Luft zum Atmen bleibt. Osman, der Sozialarbeiter und syrische Kurde, sieht sich als „neutraler Beobachter“ der Szene. Obwohl man kaum neutral bleiben kann, wenn man in Qamishli aufgewachsen ist. Das Dorf liegt unter dem Taurus-Gebirge, unmittelbar an der türkisch-syrischen Grenze, eingekeilt zwischen Stacheldraht, Wachtürmen, Kasernen.
„Wie an der Berliner Mauer ging es da zu“, erinnert sich der 32jährige, dessen Vater bei einem Grenzübertritt erschossen wurde. Ridwan Osman hat erlebt, wie Mitschüler jahrelang im Gefängnis verschwanden, weil sie auf dem Schulhof die kurdische Flagge gehißt hatten. Er hat die Prügel seiner arabischen Lehrer über sich ergehen lassen, weil er das Neujahrsfest Newroz feiern wollte. Und er fand heraus, wo kurdische Bücher unter dem Ladentisch gehandelt wurden. Ridwan hat angefangen zu lesen.
Seine Mutter, „eine Gemüsehändlerin, die natürlich nicht schreiben kann“, hat ihm ein Studium zusammengespart. Daß es der Familie gelang, der Perspektivlosigkeit kurdischer Dörfer zu entrinnen, hat bei Bekannten viel Neid geweckt. Je weiter Ridwan kam, desto deutlicher wurden ihm allerdings auch die Grenzen der Freiheit. „Selbst mit einem gutem Abschluß ist es als bekennender Kurde kaum möglich, Beamter, Offizier oder Diplomat zu werden“, erzählt er. Als Facharbeiter ging er auf ein Ölfeld und wurde politisch aktiv.
Nicht bei der Öcalan-Truppe, versteht sich. Ridwan Osman lehnte das nationalistische Dogma vom grenzübergreifenden Kurdenstaat ab, den die PKK selbst dann nicht aufgeben will, wenn in Syrisch-Kurdistan demokratische Verhältnisse herrschen sollten. Hautnah hatte er mitbekommen, wie gnadenlos PKK-Aussteiger exekutiert wurden, daß ganze Dörfer von Rebellen zur Unterstützung gezwungen wurden. „Natürlich gibt es bei der PKK keine Meinungsfreiheit“, sagt er, „wer sich kritisch äußert, wird sofort als Kollaborateur hingestellt.“
Angst vor dem langen Arm der PKK will er trotzdem nicht haben. Was ihn umtreibt, ist eher die Frage, wie die verhärteten Fronten aufzubrechen sind. Inzwischen hat er in Berlin studiert, hat sich durch Max Weber und Bismarck gelesen und sich mit „westlichen Werten“ angefreundet: „Heute finde ich es falsch, wie autoritär wir damals dachten. Aber wer zwischen vier Diktaturen lebt, hat wenig Chancen, das zu begreifen.“
Was bleibt, ist das Heimweh. Und die Hoffnung, daß aus dem vertagten Öcalan-Prozeß irgendwann ein Kurdistan-Prozeß wird. „Wenn Europa dem Terrorismus den Boden entziehen will, muß es die Türkei zwingen, demokratische Grundrechte anzuerkennen“, sagt Osman energisch. Da schreckt er zusammen und sagt: „Öcalan ist kein Terrorist.“ Und nach einer winzigen Pause: „Trotz aller Kritik stehe ich hinter ihm.“ Plötzlich ist ihm ganz mulmig geworden.
(*) Name von der Redaktion geändert
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