: Neuwahlen werden immer wahrscheinlicher
■ Am Montag muß sich Israels Premier Netanjahu einem Mißtrauensvotum stellen. Die Chancen für eine Abwahl sind hoch. Derweil suchen die anderen Parteien nach Nachfolgern
Jerusalem (taz) – Das politische Gefüge in Israel ist im Fluß. Und niemand weiß, welchen Weg die Parteien in den kommenden Tagen gehen werden. Doch deutet vieles darauf hin, daß es im kommenden Frühjahr Neuwahlen geben wird. Selbst Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich erstmals dafür ausgesprochen. „Ich habe nicht die Absicht, hinter jedem Abgeordneten hinterher zu laufen“, erklärte er auf einer Versammlung der Likud-Partei. „Entweder werden diejenigen, die mit uns übereinstimmen, für uns stimmen, oder wir werden Neuwahlen durchführen. Ich zweifele nicht, daß wir diese gewinnen werden.“
Die Erosion der politischen Lager in Israel hat merkwürdige Formen angenommen. Die eher rechtsgerichtete Kommunikationsministerin Limor Livnat wird sowohl als Vorsitzende einer neuen rechtsgerichteten Partei für ein Groß-Israel gehandelt als auch als prominentes Mitglied einer neuen Partei der Mitte, wie sie vom früheren Bürgermeister von Tel Aviv, Roni Milo, angestrebt wird.
Während der neue Außenminister Ariel Sharon sich demonstrativ an die Seite Netanjahus stellte, ging Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai auf deutliche Distanz. Mordechai wollte gestern eine „bedeutende politische Erklärung“ abgeben. Es wird nicht ausgeschlossen, daß er sich gegen Netanjahu stellt und einer neuen Partei der Mitte anschließt. Nach Presseberichten ist Mordechai erbost darüber, daß Netanjahu das Wye- Abkommen ausgesetzt und so einen tiefen Bruch in den Beziehungen zu den USA ausgelöst hat.
Am Montag steht die Regierung vor einer Vertrauensabstimmung, die quer durch alle politischen Lager geht. Die politische Rechte will einen neuen „nationalen Kandidaten“ für das Amt des Ministerpräsidenten suchen, der jeden weiteren Teilrückzug Israels aus palästinensischen Gebieten unterbindet. Im Gespräch ist der derzeitige Bürgermeister von Jerusalem, Ehud Olmert. Der Rat der Siedler im Westjordanland sucht einen geeigneten Kandidaten. Ein solcher könnte auch der rechtsgerichtete Gegner von Netanjahu, Benny Beginn, sein. Unklar ist noch, wie sich die Likud-Renegaten wie Dan Meridor, einst Finanzminister unter Netanjahu, und andere Abgeordnete verhalten werden.
Alles deutet darauf hin, daß die beiden großen Parteien, die Arbeitspartei und der Likud, bei den kommenden Wahlen schwere Einbußen werden hinnehmen müssen. Zwar wird angenommen, daß eine „zentristische“ Partei der Linken mehr Stimmen abnehmen wird als dem Likud. Doch haben die Kommunalwahlen vor einem Monat gezeigt, daß beide Parteien etwa gleichmäßig verlieren.
Nicht ausgeschlossen ist auch, daß die Drohungen Netanjahus mit Neuwahlen nichts anderes sind als ein bewährter Trick, um die Rechte bei der Stange zu halten. Viele von ihnen haben allen Grund, um ihre Knessetsitze zu fürchten. Mit der Aussetzung des Wye-Abkommens hat sich Netanjahu bei den Rechten profiliert. Und einen besseren als Netanjahu werden wir nicht finden, lautet eines ihrer Argumente. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, daß die rechtsreligiöse Partei UTJ ihren Mißtrauensantrag gegen Netanjahu zurückziehen wird. Sollte Netanjahu das Mißtrauensvotum überstehen, ist seine Regierungsmehrheit jedoch nicht in trockenen Tüchern. Nicht mehr als die zeitliche Verzögerung eines neuen Mißtrauensvotums ist wahrscheinlich. Von daher erscheint es sinnvoll, daß die Regierung Israels Einwohner schnell an die Urnen ruft. Bis dahin wird sich im Friedensprozeß nichts bewegen. Georg Baltissen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen