piwik no script img

Henne wird Broiler

■ Bundestagspräsident Thierse enthüllt im Reichstagsgebäude den neuen Bundesadler

Berlin (taz) – Die Ankündigung von Claudia Lemhoefer, Sprecherin der Bundesbaugesellschaft, war etwas mißverständlich: Die „Hängung des Adlers“ könne nun vollzogen werden.

Parlamentspräsident Wolfgang Thierse (SPD) stieg unerschrocken die zwei wackeligen Leitern des Rollgerüstes hoch. Gut fünf Meter über dem Rednerpult im neuen Plenarsaal des Reichstagsgebäudes griff er sich einen Strick, fragte kokett in die Runde: „Wie kräftig soll ich denn ziehen?“, um dann mit einiger Mühe die überdimensionale Plastikfolie vom Bundesadler zu ziehen.

Jeder konnte sehen: Der neue Vogel ist der alte. Zumindest fast. Das Wappentier ist der „fetten Henne“ des Bonner Plenarsaals nachempfunden, die 1953 der Künstler Ludwig Gies entworfen hatte. Der Berliner Aluminiumadler ist um über ein Drittel großflächiger, um zwei Meter höher und imponiert zudem durch eine Rückansicht. Während der Bonner Vogel an der Wand des Hohen Hauses klebte, hängt der neue Bundesadler nun frei.

„Bei so viel Veränderung haben die Abgeordneten das Recht, etwas Vertrautes zu sehen“, versuchte der Bundestagspräsident in luftiger Höhe den mangelnden Innovationswillen der Abgeordneten zu erklären.

Die Kontinuität in der Emblematik habe auch ihr Gutes: „Dieser Vogel dokumentiert, daß sich die Grundkoordinaten mit dem Umzug der Bundesregierung nicht verändert haben. Der Vogel ist und bleibt unaggressiv und friedlich – so wird die deutsche Politik auch von Berlin aus sein.“

Auch Sir Norman Foster, Architekt des Plenarsaals, zeigte sich zufrieden. Der Brite hatte sich in der Planungsphase durch 120 Entwürfe gearbeitet und präsentierte letztlich eine Skizze des Bundesadlers, abgemagert und teilweise perforiert, der die Ära der Berliner Republik auch symbolisch begründen sollte.

Sein Entwurf scheiterte in der Baukommission des Ältestenrates im Bundestag. Dort wünschte man eine Ähnlichkeit zum Bonner Wappentier. Die Gies-Erben pochten zudem auf eine originalgetreue Kopie, weil sie eine „Verhunzung“ des Gies-Werkes durch Foster fürchteten. So reifte die fette Henne zum dicken Broiler.

„Ich bin nicht enttäuscht, das Wappen paßt sehr gut, hat die richtige Größe, außerdem ist es ein historisches Symbol, das man respektieren muß“, sprach Foster tapfer. Es sei nun Zeit „to raise a smile“.

Markus Völker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen