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Beim Dichten mehr denken

■ Der Berliner Stattbauhof initiiert mit seinen europäischen Partnern die Ausbildungsrichtung „climatizer“. Das neue Berufsbild soll EU-Recht und Dämmstofftechnologie umfassen

„Nicht ganz dicht“, so die einmütige Meinung der Expertinnen und Experten, die sich in der Holzhütte versammelt haben, „beim ersten Hingucken merkt man das gar nicht.“ Und doch: Im Modellhaus der Dämmstoffspezialisten des Berliner Stattbauhofs zieht es durch winzige Ritzen und Löcher. Hier wurde geschludert – wenn auch nur zu Lehrzwecken.

Theoretisch und nach der gültigen Wärmeschutzverordnung hat der beheizte Innenraum eines Neubaus luftdicht zu sein. Eigens dafür werden an allen Wänden bis in die Ecken Folien verklebt. Im wirklichen Leben allerdings sind diese oft löchrig, obwohl die am Bau Beteiligten beteuern, sorgfältig geklebt zu haben. Die Lecks können fatale Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Wärmeschutzmaßnahmen haben. Carola Zellmer, Bauexpertin von der gemeinnützigen Stattbauhof gGmbH, erklärt, warum. Einerseits dringt kalte Außenluft ein und kühlt den geheizten Innenraum ab. Bei Niedrigenergiehäusern, die zwar mit genormten Baustoffen mollig verpackt, aber schludrig verarbeitet sind, „kann das schon zu Wärmeverlusten bis zu 50 Prozent führen“.

Andererseits dringt auch warme Luft vom Innenraum in die Dämmstoffschicht. Die Folge hier: Kondenswasserbildung, Fäulnis, Beeinträchtigungen des Dämmwertes und Regreßansprüche.

Das Holzhaus, das undichte Stellen zeigen soll, wo niemand sie vermutet, ist Teil eines umfassenden Lehrgangs für diejenigen Leute am Bau, die für die Wärmedämmung zuständig sind. Der Lehrgang, von der EU unter dem Projektnamen „climatizer“ gefördert, wurde in den letzten drei Jahren unter Federführung des Stattbauhofs mit Partnerinstitutionen in Portugal, Spanien und Norwegen gemeinsam erarbeitet. Systematisch befassen sich die Unterrichtsmaterialien und Lehrvideos, die in Berlin am 27. November auf einer Fachtagung der Kooperationspartner der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, mit den Grundsätzen des energiesparenden und ressourcenschonenden Bauens. Verschiedene Dämmstoffe und ihre Einsetzbarkeit werden auf dem Papier und am Modell ebenso erklärt wie die unterschiedlichen Wärmeschutzbestimmungen einzelner EU-Staaten. Gewappnet mit diesem umfangreichen Wissen sollen Azubis und Umschüler das Know-how beitragen, das nach Meinung der Climatizer-Partner nötig ist, um die vorhandene Dämmstofftechnologie und existierende Gesetze sinnvoll zu ergänzen.

Der Stattbauhof und seine europäischen Partner wollen mit diesem Projekt den denkenden Dichter und Dämmer in Ausbildungskursen und Umschulungen qualifizieren. Jetzt, wo der Lehrgang fertig ausgearbeitet ist und Modellhäuser nicht nur in Berlin, sondern auch im norwegischen Molde stehen, wollen die einzelnen Projekte ihn nicht nur selbst anbieten, sondern machen sich auch auf die Suche nach Multiplikatoren. MK

Informationen: Stattbauhof gGmbH, Herr Knapp, Telefon: (030) 293 94-0

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