: Kerzen für den postaktionalen Popstar
■ Mit einem Requiem wurde dem mehr oder weniger verstorbenen Politaktionisten Dieter Kunzelmann gedacht. Vor einem Jahr wurde er letztmalig gesehen. Auferstehung blieb wieder aus
Vor einem Jahr wurde Dieter Kunzelmann, der ehemalige Situationist, Kommune-1-Gründer, Straßenkämpfer, Maoist, AL-Politiker, Eierwerfer, Diepgenfeind, Haschischfreund und ewige Querulant, das letzte Mal gesehen. Dann flüchtete er vor der humorarmen Klassenjustiz, die ihn wegen notorischer Eierwerfereien auf den Berliner Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) zu einem halben Jahr Knast verurteilt hatte.
Am 1. April dieses Jahres erschien seine Todesanzeige, doch so ganz mochte keiner glauben, daß sich der fränkelnde Bamberger tatsächlich das Leben genommen hatte. Seine Leiche fand sich bis heute nicht.
Wie auch immer: um den mehr oder weniger Verstorbenen zu ehren, gedachte man seiner am Donnerstag abend bei einer von der spielerisch-kämpferischen Jungle World veranstalteten Feier im Kreuzberger KATO. Hier erwies sich, was vor einem halben Jahr nur gemutmaßt werden konnte: Postaktional scheint Kunzelmann, dem die Verbindung zur jungen Generation immer am Herzen gelegen hatte, zum Popstar geworden zu sein. Die Massen kamen; der Saal war überfüllt. Hier die Veteranen (Fritz Teufel; Karl Pawla u.a.), da die jungen Freunde und viele Journalisten, denn es war ja nicht auszuschließen, daß „der Dieter“ plötzlich wie damals war's aus einem Sarg, der erwartungsfroh auf der Bühne stand, im weißen Nachthemd steigen würde.
Neben dem Sarg standen vielerlei Kerzen, ein Trauerredenpult; über allem ein schwarzumrandetes Bild des Überzeugungskreuzbergers, das stark an Helge Schneider erinnerte. Weihevolle Trauermärsche; Orgeln auch dabei. Pastoral getragen hielt Ex-Kommunemitglied Professor Ulrich Enzensberger eine Gedenkrede, deren ironische Distanz manchmal störte. Karl Pawla, der als revolutionärer Student mal den Richtern auf den Tisch geschissen hatte (derb war das Humorverständnis in den 60ern), spielte auf seiner Gitarre besinnliche Renaissancemusik. Er wirkte schüchtern und sah dem Jugendbild, das man von ihm kannte, rührend ähnlich.
Texte aus dem Kunzelmannbuch wurden verlesen; situationistische Manifeste gegen die Arbeits- und Konsumzwangsgesellschaft, ein Manifest gegen die israelische Besetzungspolitik, der politisch korrekt präsentiert wurde: Enzensberger hielt ein Schild hoch, auf dem stand: „Kunzelmann = Walser“. Die Erinnerungen von Hermann Bohlen, die Kunzel in seinem letzten Kostüm als Marx-Brother zeigten, gefielen mir am besten. Über die letzten Viertelstunden vor seiner Flucht schreibt der junge Helfer: „Wie ein Irrer hastete er umher, klaubte Zeugs zusammen, brachte es wieder zurück (...), flitzte zur Uhr, stellte diverse Wecker auf Kurzweckzeiten, die in seinem Masterplan zur Gestaltung der letzten Viertelstunde diffizile Arbeitsschritte anmahnten. Kaum klingelte es, sauste er herbei, murmelte ein paar Worte (...) stellte gleich wieder neue Zeiten ein (...) drehte eine Zigarette, brummelte zu allem und jedem ein ,So!‘, ,Das!‘, ,Dies!‘, ,Noch!‘ oder rief ,Feuer!‘...“
In einem tonlosen Dokumentarfilm von Gerd Conradt über ein Knast-Camp 1969 in der Nähe von Bamberg, bei dem italienische Genossen moniert hatten, daß ihre deutschen Kollegen ständig kifften, sahen die polit-subkulturell- aktionistischen 68er unglaublich wild und schön aus. Da wurde einem doch wehmütig ums Herz.
In einem zweistündigen, neueren Dokumentarfilm des Ex- Haschrebellen Michael Zöllner erzählt ein ziemlich witziger Kunzelmann ununterbrochen. Als Interviewer sitzt Helmut Höge neben ihm und sagt nie was.
Am Rande der Veranstaltung sagte Bodo Saggelt, der damals vom Zuchthaus zum SDS gekommen war, er hätte Kunzelmann die Pistole gegeben, mit der der sich mal aus Versehen ein Ei weggeschossen hatte, um danach dann von Waffen Abstand zu nehmen; Kunzelmann hätte in seinem Buch viel beschönigt. Vermutlich wegen seiner Mutter, der er als guter Mensch in Erinnerung bleiben wollte. Darüber, ob Kunzelmann nun tot ist oder nur in Rente irgendwo, wird man sich noch lange streiten. Detlef Kuhlbrodt
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