■ Contra: Dengs Kurs hat China in eine politische Sackgasse geführt
: Es droht eine Zeit der Instabilität

Deng Xiaopings Wirtschaftsreformen waren das Eingeständnis des Scheiterns der Politik Mao Tse- tungs. Zudem verschafften sie der KP die wichtigste bis heute verbliebene Legitimität ihrer Herrschaft. Die chinesische Wirtschaft wächst seitdem um durchschnittlich 9 Prozent, der allgemeine Lebensstandard hat sich verbessert. Es ist fraglich, ob Chinas KP ohne diese Entwicklung noch an der Macht wäre.

Mit den kapitalistischen Wirtschaftsreformen wandelte sich das politische System vom maoistischen Totalitarismus zum Autoritarismus des Dengschen Sozialismus. Dabei wuchsen gewiß auch die Freiheitsräume der Bevölkerung. Es gelang der chinesischen Führung, den erzwungenen Verzicht auf politische Grundrechte mit wachsendem Wohlstand zu versüßen. Doch sollte das Wirtschaftswachstum ins Stocken geraten, werden der ideologisch bankrotten KP künftig nur noch Nationalismus und Konfuzianismus zur Legitimierung ihrer Herrschaft bleiben.

Bisher blieb die Volksrepublik von der Asienkrise weitgehend verschont, weil die Öffnung bestimmter Bereiche, etwa des Finanzsektors, noch nicht weit fortgeschritten war. Doch dies ist weniger das Ergebnis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik oder gar einer Politik der Mäßigung als das Resultat einer an Herrschaftssicherung orientierten Politik, in deren Mittelpunkt stets Kontrolle steht. Dies hat dazu geführt, daß China zwar bereits seit Jahren für die Weltmärkte produziert, aber bei der Globalisierung des eigenen Marktes ein Nachzügler ist. Wäre die Asienkrise fünf Jahre später eingetreten, wäre China stärker von der Krise betroffen. So gesehen hat die Pekinger Führung vor allem Glück gehabt.

Chinas Wirtschaft wächst noch, aber inzwischen steigen auch Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit. Schon heute finden sich alle Symptome der asiatischen Krisenstaaten auch in China. Investitionen aus dem In- und Ausland gehen stark zurück, zwei Drittel der Staatsbetriebe schreiben rote Zahlen.

Auf dem 15. Parteitag im September 1997 wurde die Reform der Staatssektors beschlossen, die im Kern eine Privatisierung und schmerzhafte Liquidierung von Staatsbetrieben ist. Doch die bisherigen Wirtschaftsreformen in einem boomenden Umfeld schienen leicht im Vergleich zu dem, was jetzt in Krisenzeiten ansteht. Der Spielraum der KP ist enger geworden. Das starke Abbremsen des Tempos überfälliger Reformen und das kürzlich beschlossene Konjunkturpaket aus Infrastrukturinvestitionen zeigen, daß Chinas Führung in eine Sackgasse geraten ist.

Arbeiterproteste und Bauernunruhen sind fast alltäglich, doch größere Protestbewegungen blieben wegen mangelnder Alternativen und Repression bisher aus. Noch gelingt es der KP, sich als Garantin der Stabilität zu verkaufen. Dafür erntet sie auch die Zustimmung von westlichen Politikern, die aus Angst vor chaotischen Zuständen nicht bereit sind, die Dinge beim Namen zu nennen. Dabei könnten sie den gleichen Fehler begehen wie gegenüber Indonesiens Suharto, der ein Pulverfaß hinterließ. Mit schwindender Legitimität wird der Druck auf die KP wachsen, das politische System zu öffnen. Nur so läßt sich der für die weiteren Reformen notwendige Konsens erzielen. Sollte Chinas KP eine politische Liberalisierung weiter ablehnen, könnte sie verantwortlich werden für künftige Instabilität. Sven Hansen