piwik no script img

IG-Farben-Zentrale kurzfristig besetzt

■ Bündnis gegen den NS-Konzern demonstriert bundesweit für Entschädigungen der Zwangsarbeiter. Erster Erfolg in den USA erzielt

Berlin (taz) – Dreimal hat die IG Farben in Abwicklung ihre Aktionärstagung schon verschoben. Vom 3. Mai auf den 27. November und dann auf den 18. Dezember. Doch auch den Termin sagten die NS-Abwickler ab. Das Bündnis gegen die IG Farben, in dem sich ehemalige ZwangsarbeiterInnen, das Auschwitzkomitee und antifaschistische Gruppen zusammengeschlossen haben, hat den gestrigen Tag allerdings genutzt. In Frankfurt besetzten sie die Geschäftsräume der IG Farben für mehrere Stunden. Gegen Mittag räumte die Polizei das Büro und stellte die Personalien von elf Personen fest. Vor dem Gebäude demonstrierten rund 50 weitere Mitglieder des Bündnisses. Sie forderten eine sofortige Auflösung der IG Farben.

Im Chemiekartell IG Farben waren während der Nazizeit über 30.000 Zwangsarbeiter beschäftigt. Die wenigsten überlebten. Vor 50 Jahren wurde während der Nürnberger Prozesse die Auflösung des Konzerns verkündet, doch dieser Beschluß wird bis heute verschleppt.

Die Aktionen waren gestern bundesweit. In Braunschweig und Marburg gab es Kundgebungen, in Mölln wurde vor dem Privathaus des IG-Farben-Liquidators Volker Pollehn demonstriert. Französische Resistance-KämpferInnen unterstützten mit einer Kundgebung vor der Deutschen Botschaft in Paris die Forderungen. In Berlin wurde symbolisch in der SPD- Bundeszentrale eine Gedenktafel mit den Forderungen der ZwangsarbeiterInnen befestigt.

Die Überlebenden aus den Fabriken der IG Farben hatten von der neuen Regierung erhofft, daß die sich um die Entschädigungen kümmert, sagte der ehemalige IG- Farben-Zwangsarbeiter Hans Frankenthal. Doch diese Hoffnungen wurden enttäuscht, als Bundeskanzler Schröder verkündete, die Regierung werde die Interessen der Industrie verteidigen. So weigerte sich die Regierung, Berufungen gegen Gerichtsentscheide zurückzunehmen, die den ZwangsarbeiterInnen recht gaben. „Die Regierung geht bis in die letzte Instanz und hofft auf eine biologische Lösung“, sagte Frankenthal.

Das Bündnis fordert die sofortige Auflösung der IG Farben und die Überführung des Vermögens in eine von den Opferverbänden geleitete Stiftung. Ein Teil des Geldes soll an noch lebende ZwangsarbeiterInnen in Osteuropa gehen. Der andere Teil soll eine Gedenk- und Mahnstätte Auschwitz finanzieren. Eine Ermutigung für das Bündnis kam aus den USA. Dort hatte sich ein ehemaliger IG-Farben-Zwangsarbeiter an Präsident Clinton gewandt. Auf bilateraler Ebene zwischen den USA und Deutschland wurde ihm als US- Bürger eine Million Mark zugesprochen. Peter Nowak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen