Bekannte Bomber, anonyme Opfer

■ Gestern abend sollten zum dritten Mal in drei Tagen Bomben und Marschflugkörper auf den Irak niedergehen. Doch über die Opfer und Schäden der amerikanischen und britischen Angriffe ist fast nichts bekannt: Die westlichen Militärs halten sich zurück, die irakischen Offiziellen verbreiten offensichtlich unvollständige Angaben. In den arabischen Staaten hält man sich mit Kritik an den Vereinigten Staaten zurück. Heftige Reaktionen kamen dagegen aus Moskau. Doch auch Rußland wird wegen des Kriegs gegen rak de Zusammenarbeit mit der Nato nicht beenden.

Zwei Tage nach dem Beginn der amerikanisch-britischen Luftangriffe gegen den Irak bleibt die dortige Lage weiterhin unübersichtlich. Fernsehbilder gibt es nur aus der irakischen Hauptstadt. Die wirklichen Schäden und auch die Frage, wie viele Zivilisten bei Angriffen umgekommen sind, bleibt im Propagandakrieg zwischen Washington und Bagdad ungeklärt.

Nach Angaben des Sprechers des amerikanischen nationalen Sicherheitsrates, David Levy, sollen die bisherigen Bombardierungen „bedeutenden Schaden“ an den Kommando- und Kontrollstrukturen und den Luftabwehrkapazitäten angerichtet haben. „So weit, so gut“, erklärte Levy gegenüber dem britischen Rundfunk. Washington betont immer wieder, daß die Raketen und Bomben nur auf militärische Objekte zielten. „Wir greifen nicht das Volk an“, erklärte US-Verteidigungsminister Cohen.

Nach irakischen Angaben vom Freitag sollen inzwischen mindestens 33 Zivilisten getötet und mehr als 250 verletzt worden sein. Die irakischen Behörden führen Journalisten vor Ort durch verschiedene Krankenhäuser, in denen vermeintlich durch die Angriffe verletzte Zivilisten liegen. Doch was Propaganda und was Wahrheit ist, bleibt ungeklärt.

Amnesty international hat unterdessen ebenfalls seine Besorgnis darüber ausgedrückt, daß es bei den Angriffen eine große Zahl ziviler Opfer gegeben haben könnte. Mindestens zehn Raketen sollen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation in Wohngebieten niedergegangen sein. Augenzeugen in Bagdad berichteten ebenfalls, daß auch Wohngegenden im Zentrum der irakischen Hauptstadt getroffen worden sind. Dort seien die ganze Nacht über Krankenwagen und Feuerwehren im Einsatz gewesen.

Auch die Vereinten Nationen in New York scheinen den US-Zusicherungen nicht ganz zu trauen. Dort fürchtete man um die Sicherheit der zunächst in der irakischen Hauptstadt verbliebenen Mitarbeiter, die für eine Weiterführung des humanitären UN-Programms im Irak zuständig sind. Etwa 100 von ihnen haben gestern Bagdad in Richtung Jordanien verlassen. Damit verbleiben nur noch 30 als unabkömmlich geltende ausländische UN-Mitarbeiter im Land.

In den Straßen Bagdads verlief gestern das Leben auch nach der zweiten Angriffswelle normal. Viele Einwohner gingen zum traditionellen Freitagsgebet in die Moschee. Vor den Tankstellen standen Autofahrer wieder Schlange. Hausfrauen besorgten auf dem freien Markt noch Lebensmittel für den bevorstehenden Fastenmonat Ramadan. Nach den schweren Einschlägen und Detonationen von Freitag nacht reagierten Einwohner der Vier-Millionen-Einwohner-Metropole erstmals panisch. Ansonsten herrscht das Gefühl: „Das ist ja nichts Neues.“

Auch die irakische Opposition beteiligte sich unterdessen am Propagandakrieg. Wie die in der syrischen Hauptstadt Damaskus ansässige oppositionelle „Organisation der Islamischen Aktion“ verkündet, soll eine Einheit der irakischen Armee am Donnerstag angeblich versucht haben, mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen das Fernsehgebäude in Bagdad zu stürmen. Laut Angaben der schiitischen Oppositionsgruppe soll der Angriff allerdings 100 Meter vor dem Fernsehgebäude zurückgeschlagen worden sein. Eine eher unwahrscheinliche Geschichte, da sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Fernsehgebäudes das irakische Pressezentrum befindet, in dem die meisten ausländischen Journalisten arbeiten.

In der arabischen Welt sind die Meinungen gespalten. Die meisten arabischen Regierungen halten sich auffallend zurück. Ihr Schweigen kann als indirekte Zustimmung zu dem Militärschlag interpretiert werden. Noch in der letzten Krise im November hatten mehrere arabische Länder erklärt, daß allein Saddam Hussein für das verantwortlich sei, was da kommen möge.

Offene Zustimmung gibt es allerdings auch nirgends. Selbst der Außenminister Kuwaits, also jenes arabischen Landes, von dem aus britische Tornado-Bomber zu ihren nächtlichen Operationen in den Irak starten, erklärte vorsichtshalber, daß sein Land nicht ein Teil der Krise mit dem Irak sei.

Die schärfste Kritik kommt derzeit aus Syrien. Die Aggression gegen den Irak sei eine brutale Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und der Prinzipien des internationalen Rechts, heißt es in der Regierungszeitung Al-Baath. Die Aggression sei nicht nur gegen den Irak, sondern gegen alle Araber gerichtet, schreibt das Blatt.

Die staatlichen ägyptischen Zeitungen sparen das Thema dagegen in ihren Kommentarseiten weitgehend aus. Diskutiert wird lediglich, inwieweit der US-Angriff innenpolitisch motiviert ist. „Operation Wüstenfuchs oder Wüsten-Monika?“ fragt ein Blatt. Die ägyptischen Oppositionszeitungen machen dagegen aus ihrem Ärger keinen Hehl: „Wir schwören dir, Clinton, bei Gott, daß dein Volk wertvolles Blut als Preis für die Agression zahlen wird“, lautet etwa die Schlagzeile der islamischen Wochenzeitung Al-Schaab.

Der Großscheich der islamischen Azhar-Universität, Scheich Muhammad Sayyad Tantawi, hat nach einem Freitagsgebet die Militäraktionen ebenfalls scharf verurteilt. Es sei eine Pflicht für jeden Muslim, dem irakischen Volk beizustehen. „Anderenfalls werden wir von Gott verflucht, denn er hat uns befohlen, uns gegenseitig zu unterstützen“, sagte der Scheich in seiner Predigt. Viele der Betenden waren offensichtlich von dem Geschehen in Bagdad stark emotional berührt, manche brachen sogar in Tränen aus. Auch in anderen Teilen des Landes kam es zu kleineren Protestkundgebungen. Eine Demonstration vor der US-Botschaft in Kairo wurde von der Polizei aufgelöst.

Im benachbarten Jordanien kam es nach den Freitagsgebeten ebenfalls zu Demonstrationen, etwa in Amman, wo rund 1.000 den Islamisten nahestehende Menschen, von einem großen Polizeiaufgebot begleitet, Clinton als Feind Gottes bezeichneten. Karim El-Gawhary, Kairo