Bremen, München, Berlin, Köln, Ibiza ......

■ Nach der Wiederentdeckung des Münchner Beinahe-Impressionisten Fritz von Uhde, bemüht sich die Bremer Kunsthalle nun um die Reanimation einer Übersehenen, der Berlin-Bremer Fotografin Elfriede Stegemeyer

Ach, in Ibiza verliebt es sich leicht. Beinahe hätte Elfriede Stegemeyer, die Nichte des Bremer Kaffee-HAG-Königs Ludwig Roselius, nach ausgiebigen gemeinsamen Fotoexkursionen mit dem Dada-Guru Raoul Hausmann diesen zwischen stacheligen Kakteen und gedrechselten Olivenstämmen geheiratet. Doch der schnelle Entschluß wurde zermürbt durch die Zeit. Hausmann mußte sich erst noch scheiden lassen. Und so etwas dauert für manche große Liebe einfach allzu lange. Treffen und Trennen geschahen im Jahr 1935.

Ein Blick in eine Vitrine in der obersten Etage der Kunsthalle beruhigt den in fremdem Liebeskummer schmachtenden Besucher: Die Frau hat ganz einfach verdammtes Glück gehabt. In besagter Vitrine schlummert nämlich ein seltenes Dokument männlicher Arroganz, die Kopie eines Briefes von Hausmann vom 1.11.1949. Es ist der erste Brief nach über einem Jahrzehnt Funkstille zwischen den beiden Exliebenden. Darin freut sich Hausmann ein paar Zeilen lang, daß auch Stegemeyer den Krieg überlebt hat. Der lange Rest des Briefes ist ein einziges Gejammere über die eigene Verkanntheit. „Bis jetzt haben die Herren (!) Künstler seit dem Kriege nichts Neues entdeckt.“ Auch wenn der Mythos von der „Stunde Null“ mit ihren neuen tachistischen Tendenzen fragwürdig ist, zeigt sich Hausmann hier doch sehr ignorant gegenüber einer ehemaligen Geliebten, die sich als Künstlerin verstand ohne „Herr“ zu sein. Und Elfriede Stegemeyer gibt sich als gleichwertiges Spiegelbild zu Hausmann: In ihrem Brief vom April 1950 erzählt sie erst ellenlang von ihren demütigen Bemühungen, den wiedergefundenen Freund zu promoten, ehe sie kurz auf ihre eigenen neuen Arbeiten zu sprechen kommt: Es waren Glasbilder, da ihre Kameras bei einem Luftangriff 1943 samt Negativen verschütt' gingen und weil sie auf der Suche nach kostenlosem Malgrund lieber die Schutzgläser vor irgendwelchen Ramschbildern bemalte, als diese selbst erfurchtslos zu übermalen.

Elfriede Stegemeyer arbeitete sich langsam vor zu einer Künstlerexistenz.

1908 in Berlin geboren, lebt sie vom fünften bis zum 21. Lebensjahr in einer stattlichen Villa in der Bremer Kohlhökerstraße. In München studiert sie dann Kunstgeschichte noch mit der Perspektive eines Lehramts. In Berlin und vor allem dann in Köln rutscht sie immer weiter in Künstlerszenen hinein. In avantgardistischer Kleinschrift schwärmt sie von Brecht. Wäre das Weimar-Dessauer Bauhaus von den Nazis nicht nach Amerika vertrieben worden, hätte sie dort gerne Fotografie studiert. Am liebsten bei Herbert Bayer. Mit Illustrationen hält sie sich im Krieg über Wasser. Dannach probiert sie so ziemlich jedes Medium durch. Für einen abstrakten Film im Stile der Kunstfilmpioniere Viking Eggeling und Hans Richter erhält sie sogar einen Preis. Und für die Münchner Olypiade 1972 darf sie einen Werbefilm auf der Basis von Kinderzeichnungen machen. Auf einem späten Foto sieht die kraftstrotzende 75jährige mit ihren kurzrasierten schlohweißen Haaren wie eine Dublette von Meret Oppenheim aus. Vielleicht ist ein kreatives Leben, das immer knapp am Durchbruch vorbeischrammt, gar nicht zu verachten. Aber über die psychische Seite dieses verschlungenen Lebens sagt der mittelmäßige Katalog der Kunsthalle leider nichts aus. Vielleicht existieren zu wenig Dokumente.

Die Ausstellung konzentriert sich ausschließlich auf die Fotografien der Frau, die sich nach dem Krieg schnörkellos „Elde Steeg“ nannte. Dieses Prinzip der Verknappung gilt nicht nur dem eigenen Namen, sondern der ganzen Welt. Bei einer Serie von Strandbildern gibt es kein einziges Mal den unendlichen Horizont, sondern ausschließlich Kleinstrukturen: das Gekräusel und Gestrudele der Wellen, die Verschlingungen von Tang im Sand.

Etwa die Hälfte von Steegs Bilder sind gar Nahaufnahmen von ein oder zwei Objekten, als wäre sie in die Avokado- und Blumenstengelfotos Edward Westons verliebt. Orange, Küchensieb, Scheuerschwamm, Glas, Hand, Glasscheibe: Ihre Objekte können nicht billig genug sein. Und wenn die Delikatesse der Grauabstufungen nicht so wichtig wäre, könnte man diese Fotografie als Vorform der Suppendosen-Popart lesen.

Doch Steeg ist nicht festzulegen auf einen einzigen Stil. Im Gegensatz zu den endlos vielen Fotografen, die sich entweder für oder gegen Manipulation entscheiden, wildert sie in allen Gebieten. Da gibt es klassisch-sozialkritische Dokumentaraufnahmen aus Litauen, Jugoslawien und Rumänien, vielleicht angeregt durch das zeitgleiche amerikanische Farm Security Administration-Projekt um Walker Evans oder Dorothea Lange. Jedenfalls ist auch bei Steeg im Flickwerk der Schürze einer Bäuerin das Flickwerk agrarischer Existenzen im Krieg zu sehen. Andererseits kennt sie keine Skrupel wild zu collagieren, einen Wüstenkaktus in ein Meer zu verpflanzen und Hochspannungsmasten mehrfach zu belichten, bis eine Kathedrale moderner Elektrizität zu sehen ist.

Ein berühmtes Foto des großen amerikanischen Haper's Bazaar-Fotograf Andre Kertesz zeigt eine Gabel an einem Tellerrand lehnend. Einzig und allein durch das Schattenspiel verwandelt sich hier ein simples Stilleben in ein kubistisches Kunstwerk. Auch Steeg verunklärt den dreidimensionalen Raum durch Schatten und Spiegelungen. Besteck, Wassergläser und Wellpappe sind ihre Accessoires.

Fotogramme, bei denen das Licht direkt auf das Fotopapier fällt, ohne Zwischenschaltung einer Kamera, machen Spiralen und Gläser zu magischen Geheimnissen.

Steeg beweist, daß ein Medium für unterschiedlichste Zwecke taugen kann. Berühmt kann man damit natürlich nicht werden. bk

Bis 21.2.1999; nächste Führung: 17.1., 11.30h