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Bülent Ecevit fehlen die Unterstützer

Der türkische Sozialdemokrat mag doch nicht Regierungschef werden. Sein Konkurrent Baykal ist gegen eine Minderheitsregierung, und Ex-Premierministerin Çiller will selbst wieder an die Macht  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Nach 16 Tagen vergeblicher Bemühungen eine neue Regierung zu bilden, hat Bülent Ecevit, Parteichef der linken Demokratischen Sozialen Partei (DSP), seinen Auftrag an Präsident Süleyman Demirel zurückgegeben. „Ich habe den Präsidenten gebeten, mich am Montag zu empfangen und mich von meiner Aufgabe zu entbinden“, erklärte der 73jährige am Samstag in Ankara.

In einer Fernsehansprache machte Ecevit gestern für sein Scheitern vor allem den Parteiführer der konkurrierenden linken Republikanischen Volkspartei (CHP), Deniz Baykal, verantwortlich. Baykal habe den Schlüssel für eine neue Regierung in der Hand gehabt, sich aber einer konstruktiven Politik verweigert, erklärte Ecevit.

Baykal hatte sich geweigert, eine Minderheitsregierung unter Premier Ecevit zu unterstützen und stattdessen vorgeschlagen, eine gemeinsame Linksregierung von DSP und CHP zu bilden mit dem langfristigen Ziel, beide Parteien zu fusionieren. Das lehnte Ecevit mit der Begründung ab, eine solche Regierung würde die Türkei zwischen links und rechts polarisieren. Baykal hält Ecevit seit Jahren vor, die türkische Linke durch die Gründung der DSP in den achtziger Jahren entscheidend geschwächt zu haben.

Für das Scheitern von Ecevit ist aber eine weitere Person mindestens ebenso entscheidend verantwortlich wie Baykal: Tansu Çiller. Die ehemalige Ministerpräsidentin und Chefin der konservativen Partei des rechten Weges (CYP) hat trotz diverser Korruptionsaffären nichts von ihrem unbedingten Willen zur Macht eingebüßt. Obwohl ein großer Teil der Mitglieder ihrer Partei bereit gewesen wäre, Ecevit als Regierungschef zu unterstützen, beharrte Çiller in mehreren Gesprächen darauf, ihre Partei stünde für eine Regierungsbildung nur dann zur Verfügung, wenn sie selbst wieder Ministerpräsidentin werde.

Das Scheitern Ecevits macht das derzeitige Drama des politischen Establishments in der Türkei noch einmal überdeutlich. Verstrickt in Korruptionsaffären und persönliche Feindschaften, sind die FührerInnen der bürgerlichen und linken Partei nicht mehr dazu in der Lage, den Direktiven des Militärs nachzukommen und eine Regierung ohne die islamische Fazilet-Partei zu bilden. Eine Regierungsbeteiligung der Islamisten ist seit dem „sanften Putsch“ im Frühjahr 1997 aber ausgeschlossen, weil die Militärs sonst erneut intervenieren würden.

Seit heute liegt der Ball formal wieder im Feld von Präsident Demirel. Er hat nun zwei Möglichkeiten: erneut einen der führenden Politiker mit dem Versuch einer Regierungsbildung zu beauftragen (im Gespräch sind Personen unterhalb der Ebene der Parteichefs), oder einfach bis Ende Januar, wenn die verfassungsmäßig vorgeschriebene Frist von 45 Tagen zur Bildung einer neuen Regierung abgelaufen ist, zu warten und dann ein Technokratenkabinett einzusetzen.

In beiden Fällen geht es sowieso nur noch um eine Übergangsregierung, da laut Parlamentsbeschluß im April vorgezogene Neuwahlen stattfinden sollen. Im Parlament liegen bereits mehrere Vorlagen für ein neues Wahlgesetz vor, das noch verabschiedet werden muß. Bislang ist vorgesehen, im April die nationalen Wahlen mit den Kommunalwahlen zu koppeln. Präsident Demirel hat jetzt vorgeschlagen, die Kommunalwahlen auf März vorzulegen und nach französischen Vorbild zweistufig wählen zu lassen. Demirel erhofft sich dadurch eine Schwächung der Islamisten, weil im zweiten Wahlgang jeweils anti-islamische Koalitionen gebildet werden können. Bei Erfolg könnte man dieses System später dann auch auf nationaler Ebene anwenden, um die derzeit unter dem Titel Fazilet Partisi (Tugend-Partei) firmierenden Islamisten zu schwächen.

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