piwik no script img

"Dann kamen die Rückschläge"

■ Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Johannes Ludewig, mag die Verspätungen bei der Bahn nicht als Chaos sehen. Die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen müßten geändert werden

taz: Die Verspätungen der Bahn haben Rekordniveau. Haben Sie das Chaos auch mal aus der Perspektive eines Bahnnutzers erlebt?

Johannes Ludewig: Gestern abend bin ich von Mainz nach Bonn gefahren. Da kam am Bahnsteig in Mainz die Ansage, daß der EC 30 Minuten Verspätung hat: verspätete Übergabe an der Grenze. Das war dann aber kein Problem, weil die Strecke so dicht befahren ist, daß alle EC-Züge eine halbe Stunde Verspätung hatten, und insofern kam dann ein Zug zu dem Zeitpunkt, wie es auf dem Fahrplan stand. Es war nur eben ein anderer als der vorgesehene. Ich habe aber auch schon echte Verspätungen erlebt, aber als Chaos kann man das meistens wohl nicht bezeichnen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen der dauernden Verspätungen?

Das begann mit Eschede, dann haben wir Probleme mit einigen Fahrzeugtypen, die uns von der Industrie nicht so zugestellt worden sind, wie wir das gedacht hatten. Und dann kamen zum Beispiel im Oktober extreme Witterungsbedingungen hinzu. Und natürlich haben wir auch einige Probleme in unserem eigenen Betrieb. Eine kleine Störung hat oft einen Zieharmonikaeffekt; das einzelne Problem wäre gut in den Griff zu bekommen, aber es zieht oft ganz schnell andere Probleme nach sich.

Die Ursachen für die Verspätungen sind ja vielfältig: seltenere Wartung der Züge, Personalmangel, Abbau von Ausweichstellen, so daß ein verspäteter Zug den ganzen Fahrplan durcheinander bringt. Jetzt sollen 150 Pünktlichkeitsmanager das Steuer herumreißen.

Es wird immer gesagt, der Personalabbau führe zu Unpünktlichkeit. Das kann man einfach widerlegen. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir sehr gute Pünktlichkeitswerte erreicht – beim Fernverkehr über 90 Prozent. Die Bahn war da besser als je zuvor, und das in einem Prozeß, der stark mit Personalabbau verbunden war. Dann kamen die Rückschläge. Die 150 Pünktlichkeitsmanager wollen wir gezielt da einsetzen, wo die Informationsstränge zusammenlaufen. Und es geht um die Organisation von Ersatzmaßnahmen. Wenn ein Zug liegenbleibt, muß man ihn abschleppen oder einen anderen Zug hinschicken.

Anders als Sie sieht die Gewerkschaft im Personalabbau sehr wohl eine wichtige Ursache für die Unpünktlichkeit. Wenn heute zum Beispiel ein Stein in einer Weiche liegt, dann muß jemand aus der Zentrale vielleicht 50 Kilometer hinfahren – und das dauert.

Sie können für solche Störungen auch einen Service organisieren, der dafür sorgt, daß Unregelmäßigkeiten in einer vertretbaren Frist behoben werden. Aber es muß auch bezahlbar sein. Wir stehen im harten Wettbewerb. Die Leute verwechseln uns oft mit der Telekom oder der Post, die mit Marktanteilen von 100 Prozent angefangen hat. Die Bahn hat im Gütertransport etwa 20 und im Personenverkehr sieben Prozent. Da müssen Sie Veränderungen wie elektronische Stellwerke, die die moderne Technik möglich macht nutzen, um konkurrenzfähig zu werden.

Sie versprechen Fahrgästen 50 Mark, wenn sie extreme Verspätungen erleben. Was ist eine extreme Verspätung? Und gilt die Regelung auch im Nahverkehr?

Wir sind im Moment dabei, das abzustimmen. Wir werden das in diesem Monat noch beschließen, damit die Regelung Anfang Januar in Kraft tritt.

Ihre Bilanzzahlen werden 1998 deutlich schlechter ausfallen als 1997. Außer beim ICE geht es im Fern-, Nah- und Güterverkehr sowohl beim Umsatz als auch bei den gefahrenen Kilometern abwärts.

So pauschal kann man das nicht sagen. Die Konjunktur der Massengüter, die per Bahn transportiert werden, ist im September und Oktober stark zurückgegangen – da haben wir tatsächlich weniger gefahren als in den gleichen Monaten des Vorjahres. Aber wenn Sie die Menge von Januar bis heute zusammenrechnen, haben wir beim Güterverkehr eine höhere Verkehrsleistung als vor einem Jahr. Im Personenverkehr stimmt es aber, was Sie sagen. Da spielen die Folgen von Eschede eine zentrale Rolle. Außerdem war die Witterung zu Beginn des Jahres im Gegensatz zum Winter davor sehr mild. Da fehlen dann gleich mal 30 bis 40 Millionen Mark. Ganz wichtig ist auch, daß die Benzinpreise deutlich gesunken sind.

Sie verkaufen Immobilien und trennen sich von ihrem Telekommunikationsbereich. So werden Sie in die Bilanz auf jeden Fall ein Plus schreiben können. Aber wird es im eigentlichen Geschäft der Bahn rote Zahlen geben?

Nein, wir rechnen damit, daß der Umsatz sich ungefähr auf Vorjahresniveau bewegt – es sei denn, der Güterverkehr bricht noch weiter ein. Beim Ertrag im operativen Geschäft werden wir aber wohl unter Vorjahresniveau liegen. Auf jeden Fall bleiben wir aber in der Gewinnzone und schreiben schwarze Zahlen.

Denken Sie, die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen stimmen, damit die Bahn im Wettbewerb erfolgreich sein kann?

Nein. Binnenschiffahrt und Luftfahrt sind von der Mineralölsteuer befreit, wir nicht. Und dann sind da die Wegekosten. Die EU- Kommission hat klar herausgestellt, daß der Straßenverkehr zu wenig belastet wird im Vergleich zu dem, was er an externen Kosten wie Unfallfolgen und Umweltbelastung verursacht. Wir setzen darauf, daß das mittelfristig korrigiert wird. Der neue Verkehrsminister hat ja wiederholt, was schon Herr Wissmann gesagt hat, nämlich daß man bis zum Jahr 2001 oder 2002 zu einer streckenbezogenen Schwerlastabgabe kommen wird. Wir wünschen uns, daß das möglichst bald festgelegt wird, damit sich unsere Kunden aus der verladenden Wirtschaft darauf einstellen können.

Haben Sie weitere Forderungen an die rot-grüne Regierung?

Die Diskussion um die Ökosteuer bereitet uns Kopfzerbrechen. Das Gesamtpaket, das in Rede steht, würde die Bahn etwa 280 Millionen Mark kosten; da sind die Entlastungen bei den Sozialabgaben schon einberechnet. Zwischen elf und zwölf Prozent unserer Kosten sind Energiekosten. Wir sind mit der Bundesregierung aber über eine Ausnahmeregelung im Gespräch.

Glauben Sie noch daran, daß unter Rot-Grün der Transrapid gebaut wird?

Ich gehe unverändert davon aus. Für uns gilt nach wie vor das Eckpunktepapier vom April 1997. Was da an Spielregeln und Bedingungen festgelegt worden ist, halten wir nach wie vor für realistisch. Wir gehen nach den Äußerungen vom neuen Verkehrsminister Herrn Müntefering davon aus, daß demnächst ein Gespräch stattfindet, ob das für die anderen Partner auch noch gilt.

Das Eckpunktepapier prognostiziert Fahrwegkosten für den Transrapid von 6,1 Milliarden Mark. Viele sagen, das ist zu niedrig angesetzt. Eine Studie, die in Ihrem Auftrag erstellt wurde, rechnet zum Beispiel mit 770 Millionen Mark für den Grundstückserwerb anstatt der 400 Millionen, die dem Eckpunktepapier zugrunde liegen.

Im Eckpunktepapier stehen überhaupt keine Zahlen zu den Grundstücken, und es gibt darin nur erste grobe Schätzungen zur Wirtschaftlichkeit. Die einzelnen Faktoren hat man später weiter spezifiziert. Da gibt es einige Faktoren, die etwas höher liegen, und andere, wo das nicht der Fall ist. Wieviel das Ganze tatsächlich kostet, können Sie erst feststellen, wenn Sie die Aufträge vergeben haben. Wenn Sie solche Dinge ausschreiben, wird man je nach Wettbewerbsintensität sehen, wie weit man den Preis auch wieder nach unten drücken kann. Deshalb bin ich sehr skeptisch bei den ganzen Zahlen, die da genannt werden.

Das Gutachten über die Grundstücke ist kein Einzelfall. Die Fernau Consult in Potsdam prognostiziert Kosten von 8,6 bis 10,1 Milliarden Mark für den Fahrweg. Kennen Sie das Gutachten?

Sicher. Aber 10,1 Milliarden für den Fahrweg – das glaubt kein Mensch. Da gibt es tausend Prämissen. Und vielleicht kann man den Fahrweg auch kostengünstiger gestalten. Vielleicht muß man ja nicht überall zweigleisig fahren. Aber Sie als Unternehmen müssen doch im vorhinein kalkulieren, ob sich der Transrapid für Sie rechnet.

Seien Sie versichert, daß ich das zum Schluß auch wirklich feststellen werde.

Die alte Bundesregierung konnte keine Einigung mit der Industrie erzielen, wer bei Betriebsausfällen zahlen muß.

Das sind zweitrangige Fragen. Die sind zu klären, wenn man sich grundsätzlich einig ist.

Aber deshalb wurde der Transrapid nicht mehr von der alten Bundesregierung unter Dach und Fach gebracht.

Das war nicht der Dreh- und Angelpunkt.

Was war denn der Dreh- und Angelpunkt?

Das möchte ich hier nicht erörtern. Das waren vertrauliche Gespräche.

Sie haben vor kurzem gesagt, der Bahnverkehr in der Fläche müsse wichtiger genommen werden. Was heißt das konkret?

Wir haben etwa 100 Wettbewerber, etwa 50 im Güter- und 50 im Personennahverkehr. Die machen uns zum Teil vor, wie man das billiger hinkriegt. Da gibt es Leute, die fahren den Triebwagen, kontrollieren am Haltepunkt die Fahrkarten und machen abends auch noch die Scheiben sauber.

Die DB AG soll ab Januar als Holding mit fünf unabhängigen Bereichen organisiert werden. Das geht doch gerade in die entgegengesetzte Richtung: Trennung statt Vermischung der Tätigkeiten.

Nicht unbedingt. Die Unternehmensbereiche gab es ja schon vorher. Und nehmen Sie kleine DB- Tochterunternehmen wie die Usedomer Bäderbahn – auch da gibt es andere Formen der Personalorganisation. So etwas muß man auch für anderswo überlegen. Interview: Annette Jensen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen