: Wenn die Seele erkrankt
Aus für Scharlatane oder eingegrenztes Therapienspektrum? Am 1. Januar tritt das neue Psychotherapeutengesetz in Kraft ■ Von Katrin Blumfeld
Manchen Menschen schlagen die Lebensumstände regelrecht aufs Gemüt. Wenn die Seele erkrankt, kann das weitreichende Folgen in der Gefühlswelt, der Wahrnehmung nach sich ziehen. Eine solche Krise entsteht häufig in einer Trennungssituation, bei beruflichen und familiären Schwierigkeiten sowie nach Mißbrauchs- oder Gewalterfahrungen.
Oft können Erkrankte weder allein noch gemeinsam mit FreundInnen oder Familienangehörigen eine Lösung finden – Symptome wie Ängste, schwere Depressionen oder Zwangsverhalten machen häufig eine Therapie notwendig. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, daß PatientInnen, die beispielsweise unter bestimmten Angstsymptomen leiden, zunächst sechs bis sieben Jahre in ärztlicher Behandlung sind. Finden sie schließlich den Weg zur PsychotherapeutIn, können sie dort unter Umständen innerhalb von sechs Monaten geheilt werden. Zudem reduzieren sich Arztbesuche und Medikamentenkonsum in den ersten fünf Jahren nach einer Psychotherapie um bis zu 60 Prozent.
Doch die professionelle Hilfe kann schnell neue Probleme aufwerfen: Egal, was die Seele braucht, bestimmte Voraussetzungen müssen erfüllt sein, bevor die Therapie auf Krankenschein beginnen kann. Die behandelnden ÄrztInnen oder TherapeutInnen müssen eine geschützte Berufsbezeichnung führen und eine Zulassung bei der Gesundheitsbehörde erlangt haben. Die Kassen kommen generell nur noch für bestimmte Therapieformen auf. Das geht aus dem neuen Psychotherapeutengesetz (PTG) hervor, das am 1. Januar 1999 in Kraft tritt.
Noch sind viele Fragen offen. In Hamburg wird noch an den Übergangsvorschriften gebastelt. Schlechte Karten haben nach der neuen Regelung vor allem die hilfesuchenden KlientInnen, die sich nach einer/m GesprächstherapeutIn umschauen wollen: Diese Form der Behandlung seelischer Probleme wird von der Kasse nicht bezahlt.
Jörn Schuldt vom Verband der Psychotherapeuten befürchtet, daß es in Zukunft noch schwerer werden wird, eine/n TherapeutIn zu finden, die von der Kasse bezahlt wird. Liegt die Wartezeit augenblicklich bei etwa sechs Monaten, können daraus nach seiner Einschätzung demnächst schnell ein bis zwei Jahre werden. Der Grund: Viele PsychologInnen werden von der Gesundheitsbehörde keine Approbation bekommen. „Ich schätze, daß mindestens die Hälfte der KollegInnen in dem Verfahren scheitern werden“, so Schuldt. Hatte Hamburg anfangs daran gedacht, auch geleistete Psychodrama-, Körper- oder Gestalttherapiestunden als Berufserfahrung anzurechnen, sei davon jetzt keine Rede mehr. KlientInnen dieser Therapieformen müssen also auch weiterhin in die eigene Tasche greifen.
Wer auf die Kostenübernahme durch die Krankenkasse angewiesen ist, muß sich künftig von einer „psychologischen PsychotherapeutIn“ oder einem „ärztlichen PsychotherapeutIn“ behandeln lassen. Voraussetzung für diese geschützten Berufsbezeichnungen ist in der Regel ein abgeschlossenes Medizin- oder Psychologiestudium. In Ausnahmefällen kommen auch PädagogInnen und SozialpädagogInnen dazu. Alle vier müssen eine psychotherapeutische Zusatzausbildung nachweisen können. Gefordert sind mindestens sieben Jahre Berufserfahrung in den letzten zehn Jahren sowie 140 Stunden theoretische Ausbildung in der Verhaltenstherapie, der Analyse oder der tiefenpsychologisch fundierten Therapie. Das sind die anerkannten Verfahren. Gesprächs-, Gestalt- oder etwa Musiktherapie werden kaum anerkannt werden.
Über bundeseinheitliche Regelungen muß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen noch entscheiden. Nur wer die Bedingungen erfüllt, kann bei der Gesundheitsbehörde einen Antrag auf Approbation stellen und später direkt mit der Krankenversicherung abrechnen. Die Kriterien sind so hart, daß neben vielen notorischen WunderheilerInnen aus der Mystik-Ecke auch viele PsychologInnen kaum eine Chance haben werden: Bislang gibt es in der Hansestadt 750 PsychotherapeutInnen. Die Gesundheitsbehörde rechnet damit, daß über tausend ÄrztInnen und PsychologInnen versuchen werden, den begehrten Titel zu bekommen.
In diesem Fall ist Eile geboten: Nur wer vor dem 31. Dezember bei der Behörde mit Zeugnissen nachweisen kann, daß er die Kriterien erfüllt, erhält eine sogenannte bedarfsunabhängige Zulassung. Alle, die sich später zu diesem Schritt entschließen, müssen durch das Nadelöhr des Zulassungsgremiums bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Letztere vergibt das Recht, sich niederzulassen, nach Bedarf. Und der dürfte für die nächsten Jahre gedeckt sein.
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