: „Man will uns mundtot machen“
Die Kurdische Volkspartei gilt als Sprachrohr der PKK. Seit deren Chef Abdullah Öcalan in Italien sitzt, ist sie in der Türkei zum Haßobjekt geworden ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Die Gegend gehört zum Feinsten in Istanbul. Hier in Nisantase geht die High-Society shoppen, hier sind die Armani- und Gucci- Boutiquen, deren Geschäfte wegen der Italienkrise immer noch schleppend vonstatten gehen. Und hier sitzt in einem der noblen Bürohäuser die Istanbuler Führung der Kurdischen Volkspartei (Hadep) – nach PKK-Chef Abdullah Öcalan Staatsfeind Nummer zwei.
Am Haus fehlt jeder Hinweis auf das Parteibüro. Die Hadep erfreute sich noch nie großer Sympathien national gesinnter Türken. Doch seit dem Streit um die Auslieferung Öcalans, seit die Hadep als einzige politische Stimme aus der Einheitsfront gegen Italien herausfiel, ist sie zum Objekt wütender Attacken geworden.
Veli Haydar Gülec ist ein besonnener Mann. Unaufgeregt beschreibt er die Situation. „Man will uns politisch ausschalten und mundtot machen.“ Gülec ist der Vorsitzende der Istanbuler Hadep. Auf dem jungen Politiker, er ist kaum älter als 35, lastet seit vier Wochen eine enorme Verantwortung. Am 19. November wurden auf Anordnung des Staatssicherheitsgerichts in Ankara landesweit sämtliche Hadep-Büros durchsucht und in wenigen Tagen fast 5.000 Leute vorläufig festgenommen. Der Vorwurf lautet auf Unterstützung einer terroristischen Organisation und Separatismuspropaganda. Aus Solidarität mit Öcalan hatten Hadep-Anhänger landesweit in ihren Parteibüros Hungerstreiks durchgeführt.
Von den Festgenommenen sind noch etwa 200 in Haft, darunter der gesamte Parteivorstand. Gegen Parteichef Murat Bozlak lag bereits ein Urteil wegen Separatismuspropaganda vor, seine Vorstandskollegen warten nun auf ihren Prozeß. Für die türkische Justiz und für den größten Teil der anderen Politiker ist die Hadep eine Frontorganisation der PKK. Drei Vorläufer wurden verboten, prominente Parteimitglieder wie die Sacharow-Preisträgerin Leyla Zana zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
„Die Hadep hat keine organisatorische Verbindung zur PKK“, behauptet Gülec. Allerdings gebe es „natürlich etliche Parteimitglieder, die mit der PKK sympathisierten“. Es ist ein offenes Geheimnis, daß innerhalb der Hadep Positionskämpfe um die Frage nach Nähe und Distanz zur PKK ausgetragen wurden. Im Anschluß an den letzten großen Parteikongreß im September verließen der Generalsekretär und andere die Partei, weil sich ihrer Meinung nach der PKK-Flügel durchgesetzt hatte.
„Die Aufgabe von Hadep“, sagt Gülec, „ist es nicht, für die PKK zu sprechen. Die Aufgabe von Hadep ist es, die kurdische Frage auf den Tisch zu bringen, die türkische Öffentlichkeit zu einer Debatte zu zwingen.“ Die Regierung versuche, „die kurdische Frage auf die PKK zu reduzieren, aber das wird nicht funktionieren. Die kurdische Frage erfordert eine politische Lösung.“ Wie die aussehen soll, ist aber in der Hadep entweder auch nicht klar, oder man will im Moment nicht darüber reden. „Wenn wir Autonomie in unser Parteiprogramm schreiben, werden wir doch sofort verboten“, erklärt Gülec.
Das scheint aber nicht der einzige Grund für die Zurückhaltung zu sein. Die Hadep will dem PKK- Chef in Rom nicht vorgreifen. Gespannt verfolgt man die teilweise widersprüchlichen Äußerungen des PKK-Chefs. Im Versammlungsraum läuft Med-TV, das Satellitenfernsehen der PKK. Selbstverständlich haben alle die letzte programmatische Rede Öcalancs am 13. Dezember verfolgt. Darin distanzierte sich der PKK-Chef von einem großen Teil seiner Befehlshaber und kündigte eine „Neustrukturierung“ der Organisation an. Für den Fall, daß er als Person dabei im Weg stehen sollte, bot er an, sich zurückzuziehen.
Bei seinen Kadern wird Öcalans Rückzugsabsicht nicht ernst genommen. Murat Karayilan, einer der bekanntesten Guerillakommandanten der PKK, beeilte sich, noch in derselben Sendung seinem Führer beizupflichten: Bisher habe man nur mit dem Herzen gekämpft, nun müsse der Krieg auch im Gehirn ablaufen. Und ein anderer Kader, Duran Kalkan, erklärte: „Wir schämen uns, daß wir bis jetzt keinen sicheren Platz für unseren Führer schaffen konnten.“ Auch Veli Haydar Gülec kann sich nicht vorstellen, daß es auch ohne den PKK-Chef geht: „Es wird keine Lösung geben ohne Öcalan.“
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