: Bilder keiner Ausstellung
Ebenso schön wie unpraktisch: Mit „Cream“ liegt eine Art Best-of-Liste aktueller Kunst in Katalogform vor, das sich vehement gegen das Medium Buch sperrt ■ Von Stephanie Tasch
Der Inhalt dieses Buches ist dermaßen frisch, daß er mit einer Vakuumverpackung vor schädlichen Umwelteinflüssen und plötzlicher Alterung geschützt ist. „Cream – Contemporary Art In Culture“ ist ein ambitioniertes Projekt des edlen britischen Kunstverlages Phaidon, der seit einiger Zeit versucht, Zeitgenössisches in ebensolcher Gewandung an den Leser zu bringen.
Man schleppt „Cream“ in einer transparenten Plastiktüte nach Hause, die den Blick freigibt auf die lecker bonbonrosa Hülle des ziegelsteingroßen Buches. Man greift zur Schere und erinnert sich gerührt an jenes unsterbliche Monument antiautoritärer Kindererziehung, F. K. Waechters „Opa Huckes Mitmachkabinett“. Damals durfte man im Buch malen, kleben, schneiden – und zisch! – das Buch ist befreit.
„Cream“ ist ein Werk aus der listenversessenen Welt von Nick Hornbys „High Fidelity“: Der Verlag hat sich ausgedacht, wenn man 10 Kuratoren (von A wie Carlos Basualdo über E wie den neuen documenta-Leiter Okwui Enwezor bis Z wie Hans Ulrich Obrist) bittet, 10 Texte auszuwählen (von A wie Cesar Aira bis Z wie Eve Kosofsky Sedgwick) und vor allem 100 junge Künstler (von A wie Ana Laura Aleas bis Z wie Zhou Tiehai) auszuwählen, die im Moment der Welt zeigen, wo es hingeht mit der Kunst in allen Gattungen und allen Medien – dann kommt am Ende eine Ausstellung im Buch, ein Buch als Ausstellung dabei heraus. So eine Art Duchampsche „boite en valise“, nur leider ohne den schönen Koffer. Das stimmt auch irgendwie, zumindest insofern, als man nach dem Durchblättern des Wälzers ungefähr so ermattet dasitzt wie nach dem Durchlaufen einer normal überladenen Biennale. Die fällt natürlich nicht nach dem Durchlaufen auseinander – höchstens konzeptuell, und da sind wir hier stringenter dran, dank strikt alphabetischer Anordnung.
Außerdem gilt das simple Kriterium, jeder Kurator solle eben diejenigen zehn aufstrebenden Künstler nennen, die jetzt und hier die weltweit bedeutsamste, innovativste Kunst produzieren. Das klingt so unbestimmt wie die Statuten des Londoner Turner-Prize, der jährlich die herausragende Kunstleistung des Jahres kürt – ist aber gelungen, mit allen Handicaps der bekanntlich zeitaufwendigeren Produktion eines Buches. Statt der idealen imaginären Riesenausstellung hält man dann doch etwas Gedrucktes in der Hand, dessen Seiten zuweilen an vergangene Ausstellungsrundgänge bzw. Zeitschriften- und Kataloglesen erinnern. Dennoch, „Cream“ stemmt sich den Grenzen des Mediums Buch mit einigem Erfolg entgegen, vor allem im Format. Das Ding ist ebenso schön wie unpraktisch und praktisch unhandhabbar; man muß es ständig drehen und wenden, um Text und Bilder jeweils richtig herum erkennen zu können. Das extreme Querformat paßt in kein Regal, biegt sich in jedem Bücherstapel gefährlich um und überlappt alles andere – kurz, das Buch ist gerne auch Objekt.
Die Rezensentin liest „Cream“ in Shanghai, Volksrepublik China, zweifellos einem der Zentren der ehemaligen Peripherie in Sachen Kunst, und stellt mit Vergnügen fest, wie das Konzept in der Auswahl der Kuratoren sowie der Künstler selbst das Verhältnis von Zentrum und Peripherie im – da ist es wieder, das G-Wort! – globalisierten Kunstbetrieb verrückt. Gewiß, da sind die Exponenten der alten Zentren, Westdeutschland und Nordamerika, Trockel/Höller, Tobias Rehberger und Andreas Slominski und jede Menge Amerikaner der Jahrgänge 1953–1969; dazu die Garde der New Brits (zum Beispiel Sam Taylor-Wood oder der frischgekürte Turner- Preistrager Chris Ofili), bekannte Gesichter von Österreich (die Hohenbüchlers) und der Schweiz (Pipilotti Rist) bis Südafrika (William Kentridge). Aber rein statistisch gehört man aus der Perspektive der „Cream“-Produzenten als Deutscher, Finne oder Franzose einer ebenso interessanten Minderheit an wie als Malaysier oder Brasilianerin. Politisch korrekte Milchmädchenrechnung? Oder eine Bestätigung der transnationalen Identität zeitgenössischer Kunst? Auf der diesjahrigen Kölner Kunstmesse hatte das gerade erschienene „Cream“ den Sprung zum Referenzwerk für aktuellste Gegenwartskunst bereits geschafft. Der rosa Koloß thronte auf den Schreibtischen der jungen Händler im Erdgeschoß.
„Cream. 10 curators, 10 writers, 100 artists. contemporary art in culture“, hrsg. von Gilda Williams, 448 Seiten, Phaidon Verlag, London 1998, 94 DM
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