■ Lust auf was ganz Scheußliches? Da sind Sie in bester Gesellschaft: O Hühnchen aus dem Wienerwald, du arme Sau
Neulich war ich kurzzeitig etwas verwirrt: Nicht, daß ich schon wieder diesen kleinen Hunger zwischendurch verspürte, mehr schon, daß ich zufällig vor einem „Wienerwald“ geparkt hatte. Ich war schon fix dabei, einen umweltfeindlichen Blitzstart hinzulegen, da hab' ich's mir anders überlegt. Raus aus der Karre, rein in den „Wienerwald“. Schon stehe ich mitten im Grillfettdunst, über mir ein röscher (= knuspriger) Adventskranz mit flackernden Niedervoltbirnchen. Ist es mein peristaltisch zuckendes Augenlid, das mich immer dann malträtiert, wenn wirkliche Not herrscht? Wenn ich beim besten Willen nicht mehr von Hunger sprechen kann, sondern Gäh-Hunger schreien müßte, was im Schwäbischen so viel bedeutet, wie daß man sich vor Gier an die eigene Keule könnte?
Keine zwei Minuten in dem Laden, und ich bin völlig willenlos. Düst der „Wienerwald“ ein Fritteusen-Betäubungsparfüm in seine hinterhältig romantisierten Räume, daß mir alle Bedenken an Kalorien und artgerechte Tierhaltung abhanden kommen? Ich sage also ganz devot zum Rotisseur hinterm Tresen, der angenehm hilfsbereit und natürlich gar nicht deutsch aussieht: „Ich krieg bitte...“ – etwas unschlüssig zögernd, nehme ich vielleicht doch das eventuell weniger gequälte Schwein? Seufz. „Ja!“ Heute ist das vom Werbeplakat grüßende Panier-Schnitzel fällig, das aussieht wie der fleischgewordene „Goldene Oktober“. Der tüchtige Inder am Tresen kräht enthusiastisch: „Du Hiiehnschen?“ Und ich ganz artig: „Äaaah, ja, ich Hiiehnschchen.“
Zahlen und nichts wie weg. Raus aus dem Bruzzeldampf und rein ins Auto. Dann die Aluminiumtüte mit dem Quäl-Chicken auf den Beifahrersitz gehauen, so lange, bis sich innen drinnen alles locker anfühlt. Das ist mein Supertrick aus meiner Bundeswehrzeit als Panzermann. Schneller kann man kein Federvieh entgräten. Denn, ordentlich geklopft, separiert sich das Fleisch in der Tüte und läßt sich hurtig am dünnen Faden der Gedankenlosigkeit die Gurgel herabseilen.
Gott sei dank sitze ich hinter getönten Scheiben, so daß mich niemand in flagranti ertappen kann. Skandal: Der kulinarische Stadtguerillero, im Schwäbischen bekannt wie ein bunter Hund, der immerfort gegen die Quäl-Hühnchen am Dröhnen ist, entledigt sich fressenderweise seiner Ideologie? Ideologieverabschiedung funktioniert normalerweise als Output, nun zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit als Input? Mir ist auch schon ganz put, put, put. Im Auto alles vollgesabbert. Obwohl der Magen immer noch Ruhe gibt, überkommt mich stante pede die Reue. Zu spät.
So geht's mir auch immer an der Tankstelle mit dem Nogger. Da allerdings kommt die Übelkeit bereits schon vor der Reue, weil meine Galle solche niederen Dienste einfach nicht mehr leisten will. Das Hühnchen (Galle noch ganz ruhig), das eigentlich gar nicht nach Hähnchen schmeckte, sondern nach Grillfett, künstlichen Huhnwürz-Amalgamen und sonstigen Geschmacksverstärkern, machte mich gar nicht stark, paßte aber gut zu mir. Einerseits war da das Hühnchen mit völlig verkorkster Karriere beziehungsweise dem lausigen Schicksal, in die „Wienerwaldkette“ hineingeboren worden zu sein. Innerseits herrschte in meinem Magen, welche Überraschung, Friedfertigkeit. Das langmütige Hühnchen – eigentlich eine arme Sau – meditierte in den Eingeweiden eines Scheißkerls. Seltsam unverdiente Harmonie. Mea maxima culpa, nach dieser Tierschändung bleibt mir nur die Selbsttherapie des „Einmal ist keinmal“, und daß Hunger jedem aufrechten Menschenkind den Charakter verbiegen kann. Fest versprochen: Ich tu's nie wieder, jedenfalls bis zum nächsten Mal.
Letzte Meldung: Einer tut's ganz bestimmt nicht wieder. Im Radio heißt's: Friedrich Jahn, der Gründer der „Wienerwald“-Restaurants ist in der Schweiz verstorben. Vincent Klink
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