: Letzte Oppositionelle geben auf
■ Die Umwelt-Bibliothek in Prenzlauer Berg hat wegen hoher Schulden den Konkurs angemeldet. Die Zeitschrift der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler soll es aber weiterhin geben
Was die Stasi einst nicht geschafft hat, erzwingt jetzt die Geldnot: Zum Jahresende muß die Umwelt-Bibliothek (UB) in Prenzlauer Berg schließen. Der 1986 von DDR-Oppositionellen gegründete und mittlerweile verschuldete Verein hat den Konkurs angemeldet. Damit geht ein weiteres Kapitel der DDR-Bürgerrechtsbewegung zu Ende.
Die Finanzmittel der UB waren in den vergangenen Jahren immer knapper geworden. Weder Spenden noch das nach der Wende eröffnete Café konnten die Schulden auffangen: 5.000 Mark muß die UB der Bewag, der Gasag, der Wohnungsbaugesellschaft und dem Finanzamt zahlen. Einen Prozeß wegen Konkursverschleppung wollte der Verein vermeiden. Zum 31. Dezember müssen die Mitglieder samt der 1.000 Bücher ihr Haus in der Schliemannstraße verlassen.
Seit dem Mauerfall hatte die UB zunehmend an Bedeutung und damit auch an Aufmerksamkeit verloren. Das Café wurde zum linken Szenetreffpunkt und Infoladen mit anarchistischem Bildungsprogramm. Ein Häuflein ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, die sich weder einer der großen Parteien anschließen noch gar in den Bundestag einziehen wollten, betrieb die UB unermüdlich weiter. Sie gaben auch die Zeitschrift telegraph heraus, die die Vereinsmitglieder Dirk Teschner und Dietmar Wolf jetzt als Ostdeutsche Quartalsschrift weiterführen wollen.
Wenigstens ein Stück DDR- Oppositions-Geschichte bleibt damit lebendig. Im November 1987 war die UB mit einem Schlag auch in der Bundesrepublik bekannt geworden, weil die Stasi den Druck der UB-Zeitschrift Umweltblätter und einer Ausgabe des Grenzfalls verhindern wollte. Stasi-Mitarbeiter drangen damals in die Zionskirche in Mitte ein, den damaligen Standort der UB. Sie wußten, daß die UB zu einem Umschlagplatz für geheimgehaltene Informationen und verbotene Bücher geworden war. Die Nachricht des Stasi- Überfalls gelangte jedoch in die West-Medien und sorgte für unerwartete Popularität der UB. In der Zionskirche wurde eine Mahnwache für die vorübergehend festgenommenen UB-Mitarbeiter gehalten – ein in der DDR bis dahin unerhörter Vorgang.
Anfang Oktober 1989 organisierten UB-Leute gemeinsam mit anderen Oppositionsgruppen Mahnwachen gegen die SED-Führung vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Auch dieses Mal liefen die Bilder des Protestes im West-Fernsehen. 1990 zog die UB dann in die Schliemannstraße, die Zeitschrift hieß jetzt telegraph.
Nach der Wende sei die UB zwar weiterhin ein „offener Ort“ gewesen, erklärte Mitbegründer Gerold Hildebrandt. Ihr Engagement sei jedoch angesichts zahlreicher anderer Angebote und Initiativen im Umwelt- und Menschenrechtsbereich immer „beliebiger“ geworden. Unprofessionalität und Abschottung sieht Hildebrandt teilweise als Ursachen des Scheiterns an. Jutta Wagemann
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