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Im zweiten Anlauf und ohne Führerschein auf den Chefsessel

■ Ende Dezember wurde Stanislav Levy zum Cheftrainer von Tennis Borussia befördert. Nun muß der Tscheche beweisen, daß er genauso wie seine Spieler tauglich für den Aufstieg ist

Für Stanislav Levy war bereits fünf Tage vor Heiligabend Bescherung. Auf der Weihnachtsfeier der Tennis-Borussen im Metropol- Theater beförderte ihn Vereinspräsident Kuno Konrad zum Cheftrainer des Fußball-Zweitligisten. Mit dem 40jährigen aus Prag, der den im November entlassenen Chefcoach Hermann Gerland bislang als Interimslösung vertrat, besteigt zum ersten Mal ein Tscheche den Trainerstuhl eines deutschen Profiklubs.

„Für mich wird sich jetzt vieles ändern“, meint der Beförderte nachdenklich, wohl wissend, daß er jetzt ins Kreuzfeuer der Kritik rückt, falls die sportlichen Erfolge ausbleiben sollten. Als Gerlands Assistent konnte er hinter dem breiten Rücken seines Vorgesetzten in Deckung gehen, nun muß er sich im „Haifischbecken Bundesliga“ freischwimmen.

Auch in dieser schnellebigen Branche will sich Levy treu bleiben. Ein Handy, Insignum des stets kommunikationsbereiten Partners der Medien, mag er sich nicht zulegen. Auch eine Fahrschule wird „Stani“ nicht mehr besuchen. „Ich bin kein Autofan.“ gesteht er. Wenn er nicht den Bus nimmt, wird Gattin Blanka ihren Mann auch in Zukunft zum Training kutschieren müssen. Sogar auf den anstrengenden Auswärtstouren in andere Zweitliga-Städte, wo der Gatte kommende Gegner studieren will, wird Frau Levy ihn chauffieren. „Ist doch gar nicht so schlecht“, glaubt der mit schweijkschem Witz ausgestattete Prager, „dann sieht man sich wenigstens öfter.“

Die Familie hat ihn bestärkt, den Streßjob zu übernehmen, obwohl er um die Gefahren seiner exponierten Stellung weiß. Sohn Jan (17) und Tochter Blanka (15) besuchen ein Berliner Gymnasium. Sollte der Vater entlassen werden, müßte er wahrscheinlich in eine andere Stadt ziehen, um einen adäquaten Job zu bekommen. „Daran denke ich nicht, sonst bräuchte ich gar nicht erst anzufangen“, sagt Levy.

An der fachlichen Eignung des Neulings hegt niemand Zweifel. Levy baute seine Trainerlizenz in Prag mit Bestnote. Daß er sein Handwerk als Fußballer versteht, hat er in den vergangenen zehn Jahren bewiesen. 1988 wechselte der 28fache Nationalspieler der CSSR, ausgestattet mit einem Zweijahresvertrag, von Bohemians Prag zum damaligen Zweitligisten Blau-Weiß 90 an die Spree. „Ich dachte, nach den zwei Jahren geht es wieder zurück nach Prag.“

Doch die Berliner fanden Gefallen an dem technisch versierten Spiel des dünnbeinigen Böhmen. „Berlin ist meine zweite Heimat geworden, hier habe ich fast alles erlebt.“ Er nennt den Fall der Mauer, den Konkurs von Blau- Weiß 90 sowie den dunkelsten Abschnitt seiner aktiven Laufbahn: 1992, als das blau-weiße Konkursopfer zu TeBe wechselte, erlitt Levy binnen weniger Wochen zwei Kreuzbandrisse im Knie. Niemand rechnete mehr mit Stanis Comeback. „Doch ich wollte den Leuten zeigen, daß ich kein Fehleinkauf war, und habe den Anschluß wieder geschafft.“ Levy schaffte nach eineinhalbjähriger Plackerei im Reha-Zentrum den Anschluß, bevor er 1995 die Töppen endgültig an den Nagel hängte und Assistenztrainer bei den Borussen wurde.

Im Mommsenstadion schien er die tragische Rolle des Harry Klein zu verkörpern. Wie die rechte Hand von Derrick wollte Levy der Sprung auf den Chefsessel einfach nicht gelingen, obwohl er dicht davor stand: Im Oktober 1996, als Rainer Zobel die Papiere erhielt, errang Interimscoach Levy in der Regionalliga sensationelle Siege gegen Leipzig und Dresden. Als der Schnauzbart fest mit der Ernennung zum Chef rechnete, setzte ihm der Arbeitgeber kurzerhand Gerland vor die Nase. Levy, der „Löwe aus Prag“, rückte mit Tränen in den Augen wieder in die zweite Reihe hinter Gerland, dem „Tiger“ aus Bochum. Offensichtlich scheute sich die Klubleitung tierisch, dem netten Menschen aus Prag die Verantwortung für das millionenschwere Unternehmen Aufstieg zu übertragen.

„Jetzt bin ich der Chef“, schlägt der Country-&-Western-Fan seit Weihnachten neue Töne an. Die Spieler dürfen den Chef aber weiterhin duzen. „Damit habe ich keine Probleme“, gesteht der Trainer, „solange der gegenseitige Respekt da ist.“ Er würde gerne Menschen heilen können, nennt Stani als seinen Traum, aber nun muß auch er notgedrungen den gängigen „harten Hund“ im Haifischbecken darstellen. „Ich kann nicht der Freund aller Spieler sein, denn auch bei mir können nicht alle spielen“, weiß der Tscheche. Im Kader warten Spieltag für Spieltag 28 Mann auf ihren Einsatz, der lukrative Prämien verspricht. Kein leichtes Unterfangen, zumal die Halbwertszeit der meisten Borussen-Trainer traditionell weniger als ein Jahr beträgt.

Auf die Frage, ob er mit TeBe das große Ziel, den Aufstieg in die Bundesliga, erreichen könne, antwortet der „Löwe aus Prag“ weniger schicksalhaft als sein Vorgänger, der sich gerne um eine klare Antwort herumformulierte. „Wenn wir nach dem letzten Spieltag auf einem Aufstiegsplatz stehen würden“, sagt Levy, „wäre ich bestimmt der letzte, der etwas dagegen hätte.“ Jürgen Schulz

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