: Afrika setzt in Sierra Leone auf Krieg
■ Im ärmsten Land der Welt nimmt der Bürgerkrieg kein Ende. Jetzt soll die von Nigeria geführte Eingreiftruppe weiter verstärkt werden
Berlin (taz) – Sierra Leones Präsident Ahmed Tejan Kabbah hat von den Rebellen, die in dem westafrikanischen Land gegen ihn einen Buschkrieg führen, keine hohe Meinung. „Ihr Ziel ist es, Chaos zu säen und die Bevölkerung zu terrorisieren, um mich dazu zu bringen, mit ihnen zu verhandeln“, schimpfte Kabbah kurz vor Weihnachten im Staatsrundfunk. Und Verhandlungen sind nach seiner Überzeugung ausgeschlossen, solange die Rebellen nicht die Waffen niederlegen und die Regierung anerkennen.
Der andauernde Bürgerkrieg in Sierra Leone wird auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen, von der mittlerweile ein Zehntel – 440.000 Menschen – ins Ausland geflohen ist. Die Regierung, geschützt von der nigerianisch geführten westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog, setzt auf die militärische Lösung. Angesichts von Rebellendrohungen, zum Neujahrstag die Hauptstadt Freetown einzunehmen, riefen die Außenminister mehrerer westafrikanischer Ländern gestern bei einem Gipfeltreffen in der Elfenbeinküste zu einer weiteren Verstärkung der Ecomog-Truppe auf.
Für das Land mit der nach UN- Angaben niedrigsten Lebensqualität der Welt und der größten Flüchtlingsproblematik Afrikas bedeutet das eine weitere Eskalation des Krieges. In den letzten Tagen sind die Kämpfe Freetown bedrohlich nahe gekommen – wie schon mehrmals seit 1992, als die Rebellenbewegung „Revolutionäre Vereinigte Front“ (RUF) in Sierra Leone den Kampf aufnahm.
Friedenshoffnungen haben sich in Sierra Leone immer schnell zerschlagen. Nach freien Wahlen 1996 schloß der frischgewählte Präsident Kabbah zwar Frieden mit der RUF, aber das Abkommen wurde von keiner Seite richtig eingehalten, und im Juni 1997 kam es zum Putsch meuternder Militärs im Bündnis mit den Rebellen. Die Putschistenregierung wurde schließlich im Februar 1998 von Nigerias Militär wieder gestürzt; Kabbah wurde wieder Präsident, die RUF ging wieder in den Busch. Nigerias Eingreiftruppe hat die Rebellen bis heute nicht besiegen können.
Vielmehr hat die RUF in den letzten Monaten beständig an Boden gewonnen. Gestärkt durch den Diamantenhandel aus ihren östlichen Hochburgen um Koidu und Kailahun, ist sie mittlerweile bis Makeni im Norden des Landes vorgedrungen und unternimmt sogar Angriffe auf Flüchtlingslager in der Nähe von Freetown.
Aufwind gab der RUF das Verhalten der Regierung Kabbah, die unter dem Deckmantel der demokratischen Legitimität ihre Gegner rigoros unterdrückt. Mehrmals wurden angebliche Sympathisanten der RUF und der früheren Militärjunta, darunter auch hohe Politiker, zum Tode verurteilt. In der Todeszelle sitzt auch RUF-Führer Foday Sankoh. Die Rebellen drohten erstmals in Reaktion auf die Hinrichtung von 24 Todeskandidaten am 19. Oktober mit dem Sturm auf die Hauptstadt. Der amtierende RUF-Führer Sam Bockarie hat klargemacht, eine Hinrichtung seines Chefs Sankoh würde den totalen Krieg bedeuten. Unabhängige Kräfte fordern seitdem die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen.
Dies lehnt Präsident Kabbah ab – und neuerdings auch RUF-Chef Bockarie, der seit Mitte Dezember immer wieder den unmittelbar bevorstehenden Angriff auf Freetown ankündigt. Die Führung der Ecomog-Eingreiftruppe forderte angesichts dessen die Bevölkerung der Hauptstadt am 16.Dezember auf, „bizarre“ und „verrückt erscheinende“ Personen zu denunzieren, „denn es könnte sich um Rebellen handeln“. Am vergangenen Wochenende wurden zwei „Rebellensympathisanten“ auf der Straße gelyncht.
Die Eskalation des Krieges in Sierra Leone sorgt für regionale Spannungen. Der östliche Nachbarstaat Liberia schloß am 20. Dezember seine Grenzen, da nach der Überzeugung von Präsident Charles Taylor seine ehemaligen bewaffneten Gegner in Sierra Leone zum Angriff rüsten – Taylor wird wiederum von Kabbah beschuldigt, die RUF zu unterstützen. Der nördliche Nachbarstaat Guinea, dessen Armee an der Ecomog-Truppe beteiligt ist, erlebt seit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Lansana Conté am 14. Dezember eine politische Krise mit Unruhen und Verhaftungen von Oppositionellen – und Guineas Oppositionspresse verweist auf den Vormarsch der RUF in Sierra Leone als Menetekel für den eigenen Präsidenten. Dominic Johnson
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