: „Selbständigkeit ist das Prinzip Hoffnung“
■ Im Interview: Prof. Wulf-Dietrich Köpke, Direktor des Museums für Völkerkunde, über Chancen, Risiken und Herausforderungen für die sieben Hamburger staatlichen Museen, die am 1. Januar eigenständig werden
taz: Herr Prof. Köpke, die Deichtorhallen waren vor fast zehn Jahren eine Art Testlauf für ein selbständiges Hamburger Kulturinstitut, doch ein Museum ist keine Ausstellungs-GmbH. Das Museum für Hamburgische Geschichte hat etwa eine Million Objekte, im Museum für Völkerkunde sind es rund 350.000 Objekte und geschätzt 200.000 historische Fotos. Wie wirkt sich die publikumsorientierte Verselbständigung der Museen auf den Erhalt solcher Schätze aus?
Wulf-Dietrich Köpke: Schon vor zwanzig Jahren wurden gravierende Mängel bei den Hamburger Sammlungen festgestellt – und seitdem hat sich leider nicht viel geändert. In ganz Deutschland sind Sammlungen, Archive und Bibliotheken durch ungenügende konservatorische Bedingungen akut gefährdet. Diesem Problem muß entschieden mehr Gewicht beigemessen werden, aber schlechter als es schon ist kann es auch durch die Verselbständigung der Hamburger Museen nicht werden. Das von uns Museumsdirektoren immer wieder als vorbildlich herausgestellte niederländische Modell mit seinen Sanierungsaufwendungen war da erfolgreicher. Aber das ist in Hamburg nicht zu machen. Seit 1912 soll das Museum für Völkerkunde einen Anbau für die Magazine bekommen, aber bis heute sind sie nur provisorisch untergebracht.
Also Geld für Magazine einfordern und keine Verselbständigung?
Nein, ich bin froh, daß das in Gang kommt. Das jetzige System ist festgefahren, und mit linearen Sparvorgaben wurde es immer schlimmer. Das Rasenmäherprinzip führt zu uneinsehbaren Effekten, letztlich zur Schließung. Verselbständigung ist dann das Prinzip Hoffnung. Allerdings gehen wir nicht davon aus, daß das Paradies ausbricht. Aber die andere Mitwirkungs- und Führungsstruktur setzt schon Begeisterung frei. Die Mobilisierung der eigenen Kräfte gibt der Hoffnung Substanz, vor der Schere zwischen dem Zwang zu steigenden Einnahmen und proportional sinkenden Zuwendungen herlaufen zu können – an die weitere Staatsunterstützung müssen wir einfach glauben.
In den Museumsstiftungen wird als große Neuerung die kaufmännische Buchhaltung eingeführt. Sie bedeutet aber auch Mehrarbeit, und der neu zu bestellende kaufmännische Direktor muß sein Gehalt zusätzlich verdienen.
Aber der Gewinn an Flexibilität ist beträchtlich. Man kennt die genauen Kosten, kann diejenigen Materialien und Dienstleistungen nutzen, die man wirklich braucht, und ist nicht darauf angewiesen, was die Behörde anbietet. Preis und Leistung sind individuell festsetzbar, Mitwirkungsmöglichkeiten und Motivation steigen dadurch.
Als Stiftungen müssen die Museen die Gebäude und Sammlungen von der Stadt mieten, bekommen aber den Betrag gleich wieder erstattet. Befürchten Sie bei solchen Konstruktionen nicht ein Gewinn-streben der Stadt durch Mieterhöhungen ohne Erstattung oder bei voller Übernahme mit gleichzeitiger Kürzung anderer Zuwendungen, wie es beispielsweise über die staatliche Sprinkenhof AG mit dem Kunstverein oder dem Stadtteilzentrum LOLA geschehen ist?
Das geht ja bisher auch. Bei erfolgreichem Einwerben von Sponsorengeldern wurden auch in der Vergangenheit Zuschüsse gestrichen. Auch unter der neuen Konstruktion könnte ein Museum sogar ganz geschlossen werden. Es wäre nur nicht so schnell umsetzbar und würde Wind machen. Da sind dann die Politik gefragt und die Öffentlichkeit. Das alles liegt immer im Bereich des guten Willens. Man kann vieles befürchten, aber wir gehen davon aus, daß der Staat seine guten Vorsätze auch umsetzt.
Doch dem Wunsch der Direktoren, den kulturpolitischen Auftrag festzulegen, wurde nicht entsprochen. Dankenswerterweise wurde ja mal entschieden, 93 Millionen Mark für die Kunsthalle auszugeben. Aber auch das Völkerkundemuseum könnte, wenn es politisch gewollt wird, eine neue Vermittlerrolle ausfüllen, bei dem Viertel der Hamburger Bevölkerung, das nicht mehr aus dem traditionellen Kulturkreis kommt.
In den Verlautbarungen wird immer wieder das große Einvernehmen betont, mit dem alle Beteiligten nach nur vierjähriger Planung in die Verselbständigung gehen. Waren denn wirklich alle dafür?
Im Vergleich zu anderen Reformen ist wirklich viel miteinander geredet worden. Für mich ist dabei vor allem wichtig, was an Strukturwandel im Hause möglich war. Gewisse Blockaden sind schon jetzt abgebaut. Die Reform wurde nicht verordnet, die Direktoren haben von Beginn an aktiv am Prozeß teilgenommen und dafür gesorgt, daß die Belegschaft beteiligt war. In den Häusern ist ein echter Dialog geführt worden. Und in die neuen, vom ganzen Haus erarbeiteten Statuten haben wir vor Entscheidungen der Leitung eine Beratungsverpflichtung mit den Mitarbeitern eingebaut.
Es wird geradezu pathetisch von einer „Jahrhundertreform“ gesprochen
Na ja, das nicht gerade, es sind schon noch Defizite da. Aber besonders was das Miteinanderreden angeht, könnte es ein Vorbild für andere sein.
Welches sind die Knackpunkte?
Erst einmal das Problem des Zustands der Sammlungen. Die hier notwendigen Investitionen machen jede Kalkulation obsolet. Und zweitens die Nichtfestlegung des kulturpolitischen Auftrags und somit die potentielle Angreifbarkeit unserer Arbeit. Insgesamt sind wir aber optimistisch. Und bedenken Sie, die Überlegungen, im Sparzwang ein Museum gleich ganz zu schließen, sind mit diesem Modell vom Tisch. Und ich glaube auch, daß sich ungeahnte Möglichkeiten der Kooperation auftun werden.
Meinen Sie in der Art süffiger Publikumsmagneten wie „Die Kunst des Motorrads“ im ehrwürdigen Kunsttempel des Guggenheim-Museums?
Ach, daß alle nach dem Mainstream gehen, ist doch bereits jetzt so. Auf der letzten Konferenz der Völkerkundemuseen im deutschen Raum ging es überwiegend um publikumsträchtige Themen wie Indianer und Tibet. Nein, der reine Markt wie in den USA kann es nicht sein. Ich denke, wir müssen in Zukunft eher mehr auf unser Profil achten, wir müssen uns Gedanken machen, was das Publikum wirklich will, und uns fragen, was eigentlich als Erfolg zu definieren ist.
Das können durchaus Kriterien jenseits von Besucherzahlen sein: Die erfolgreiche Ansprache einer Minderheit oder ein kindgerechtes Museum. Auch kann es von Bedeutung sein, daß wir schon jetzt mehr Bücher ausleihen als alle anderen Museumsbibliotheken zusammen oder daß internationale Journalisten bei uns nach ethnologischen Hintergründen von Tagesereignissen recherchieren.
Die Furcht vor der Überkommerzialisierung ist ernst zu nehmen, aber wir zumindest wollen in eine andere Richtung: Mehr Sensibilität für Bedürfnisse der Gesellschaft und des Publikums. Und dabei können die Mitarbeiter mit ihren neu freigelegten Fähigkeiten helfen. Interview: Hajo Schiff
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