Analyse: Hin- und hergerudert
■ Ungleiche Besteuerung von 620-Mark-Jobs ist problematisch
In der Frage der Besteuerung und Belastung von NiedrigverdienerInnen ist Bundeskanzler Schröder schon mehrfach hin- und hergerudert. Zum Jahresende rückte Schröder mit einer neuen Version heraus: Danach sollen die 620-Mark-Jobs nun doch besteuert werden, wenn sie neben einem anderen Hauptjob ausgeübt werden. Dies beträfe rund ein Viertel aller geringfügig Beschäftigten, so geht es aus den Zahlen des Berliner Wirtschaftsinstituts DIW hervor. Von schätzungsweise rund 5,4 Millionen 620-Mark-JobberInnen üben 1,4 Millionen die Arbeit nur als Nebentätigkeit aus. Mit der Besteuerung will Schröder ein oft genanntes Gerechtigkeitsproblem lösen – und wirft damit neue Gerechtigkeitsfragen auf.
Nach den bisherigen Plänen der rot-grünen Regierung sollen die derzeitige Pauschalsteuer auf die 620-Mark-Jobs abgeschafft und im Gegenzug Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitgeber erhoben werden. Für Arbeitgeber und Beschäftigte ist die Verschiebung von Steuer zu Sozialversicherung ein Nullsummenspiel. Die völlige Steuerfreiheit der Minijobs wäre aber ungerecht gewesen gegenüber jenen, die Vollzeit arbeiten und ihr Einkommen voll versteuern müssen.
Dieses Gerechtigkeitsproblem will Schröder in seiner neuen Version lösen, indem er den Hinzuverdienst besteuert. Wer beispielsweise im Hauptjob 2.400 Mark verdient und nebenbei noch 620 Mark, wird danach genauso steuerlich belastet wie ein Nachbar, der mit einem einzigen Job 3.000 Mark nach Hause bringt. Hier ist also Gleichheit hergestellt, anderswo aber nicht.
Die 1,6 Millionen Ehefrauen, die mit ihrem 620-Mark-Job etwas zur Haushaltskasse beitragen und gemeinsam mit dem Ehemann steuerlich veranlagt werden, müßte Schröder nämlich in dieser Logik gleichfalls steuerlich belasten. Das aber will der Kanzler nicht, hinzuverdienende Ehefrauen bleiben steuerfrei. Was wiederum ein Gerechtigkeitsproblem verschärft, auf das der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hingewiesen hat.
Im Osten Deutschlands arbeiten beispielsweise im Einzelhandel viele Alleinerziehende auf Vollzeit- oder Zweidrittel- Stellen neben verheirateten Kolleginnen, die nur auf 620-Mark-Basis die Regale auffüllen. Während die minijobbenden Ehefrauen ihr Geld brutto für netto nach Hause bringen, müssen die alleinstehenden Vollzeiterinnen mit ihren Steuern und hohen Sozialversicherungsabgaben den Sozialstaat mitfinanzieren. Fair ist das nicht. An den 620-Mark- Jobs zeigt sich, daß rundherum „gerechte“ Lösungen in einem komplexen Sozialsystem kaum möglich sind. Es ist zweifelhaft, ob die neue Schröder-Version zumindest die am wenigsten ungerechte Lösung ist. Barbara Dribbusch
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