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„Die härteste Nacht des Jahres“

Hamburg begrüßt 1999: mit 25 Tonnen Müll am Hafen, bürgermeisterlichem Händedruck und gestreßter Feuerwehr  ■ Von Eberhard Spohd und Kai von Appen

Wenn am Neujahrsmorgen das Polizeiorchester auf dem Hamburger Rathausmarkt die Stadthymne „Heil über dir, Hammonia“ spielt und die Flaggen der Freien und Hansestadt und der BRD gehißt werden, dann empfängt traditionell der Erste Bürgermeister sein Volk im Rathaus. Während das Orchester im Foyer des Regierungsgebäudes ein Medley hanseatischer Schlager von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ bis „Das kann doch Ortwin Runde nicht erschüttern“ schmettert, reihen sich im Laufe des Vormittags rund 2000 Bürger ein, um dem Sozialdemokraten und der Zweiten Bürgermeisterin Krista Sager (GAL) die Hände zu schütteln.

„Ich hätte ja lieber Ole von Beust viel Glück im neuen Jahr gewünscht“, lautet der Stoßseufzer einer jungen Hanseatin in der Warteschlange, „den finde ich viel attraktiver.“ Derweil fragt ein unbedarfter Besucher, wofür man denn anstehe. Eine ältere Dame erklärt ihm die Spielregeln: eine halbe Stunde warten, ein Eintrag in die Besucherliste, dann könne man einen kurzen Plausch mit den beiden Stadtoberen führen. Begeistert reiht der Mann sich ein.

Im Turmsaal des Magistratssitzes hören sich Runde und Sager alles freundlich an: ein selbstverfaßtes Gedicht eines engagierten Bürgers etwa, oder die Bitte einer Familie mit einem gehörlosen Kind, sich mehr um Behinderte zu kümmern. Ein kurzer Händedruck noch, und man fühlt sich für das kommende Jahr wohlbehütet.

Weniger gut gelaunt machen sich derweil die Mitarbeiter der Stadtreinigung daran, die Reste des Feuerwerks zusammenzuklauben. Rund 25 Tonnen Abfall liegen jedes Jahr allein am Hafen herum, wo gestern 25.000 Menschen feierten.

Auch die Feuerwehr war in der Silvesternacht im Dauereinsatz. 825mal – fast einhundertmal mehr als im Vorjahr – mußten Rettungssanitäter, staatliche Löscher und Freiwillige Wehren ausrücken, um Wohnungsbrände zu löschen oder Verletzte zu versorgen. Insgesamt leisteten Sanitäter 441mal erste Hilfe. „Das war die härteste Nacht des Jahres“, so Feuerwehrsprecher Michael Krupski.

Besonders in Atem hielt die Löscher die hohe Anzahl an Brandstiftungen. „Bei 260 Feuermeldungen handelte es sich um in Brand gesetzte Papiercontainer“, klagte Krupski. In Schnelsen stand zudem der Wintergarten eines Hauses in Flammen. Die wertvolle Porzellansammlung darin muß nun wegen Rußansatzes poliert werden.

Tödlich endete ein Streit in den Räumen des portugiesischen Clubs „Benfica“ in Altona. Ein 21jähriger Portugiese hatte sich bei einer Rauferei eine Platzwunde zugezogen und wollte sich von seinem Schwager zum Arzt fahren lassen. Auf dem Weg dorthin trafen die beiden auf ein Auto mit drei Landsleuten, die ebenfalls von der Party kamen. Der Streit flammte erneut auf; ein 37 Jahre alter Portugiese zog eine Waffe und schoß aus dem Auto auf den 21jährigen, der eine halbe Stunde später in der Ambulanz starb. Der Tatverdächtige wurde dem Haftrichter vorgeführt.

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