piwik no script img

Stoff und Holz im Panzerkreuzer

Sich ausgerechnet in der Volksbühne an Gott versuchen und dabei den Zitatpop ins Kreaturentheater bringen: Der polnische Theatermacher Andrej Woron inszeniert Gogols „Tote Seelen“ als eine Art Teufelspakt  ■ Von Petra Kohse

Ich glaube an das Holz und die Mannequins“, sagt der polnische Theatermacher Andrej Woron, und wer sein Teatr Kreatur im Theater am Ufer kennt, weiß, was gemeint ist.

Woron, eigentlich bildender Künstler, arbeitet seit 1990 teils fast gleichberechtigt mit Schauspielern und den Puppen, die er nach ihrem Bilde gemacht hat. Vor Bretterverschlägen und zur rhythmisch-wehmütigen Musik von Janusz Stoklosa schlenkern Darsteller zu Stoffen von Isaak Babel oder Bruno Schulz ihre Alter egos aus Holz und Stoff vor sich her, um das eigene Hängen an den Schicksalfäden vorzuzeigen. Das bißchen Hoffnung, das sie den Mannequins voraushaben, zeigt sich bloß am noch desolateren Zustand ihrer Kleidung. Auch die Volksbühne interessiert sich für Mannequins. Schon für Tim Staffels „Terrordrom“ warb eine Typenkunde aus der Hochglanzwelt der Lebensversicherten, und auf dem Programmheft zu „Tote Seelen“ nach Gogol betrachten zwei Anzugträger Baupläne, wahrscheinlich für einen Ruhesitz am See. Volksbühnentypisch ist nicht zu entscheiden, ob diese Ikonographie vorwurfsvoll, zynisch oder sogar sachlich gemeint ist – ganz dem eigenen Motto entsprechend, daß sich ein staatliches Theater allen Gesellschaftsschichten zu öffnen hat.

Wie schicksalhaft die Gegenwart jedoch sein mag, sie spielt für Andrej Woron auch als Gast der Volksbühne keine Rolle. Mitten im Panzerkreuzer denkt er bei Mannequins noch immer an Stoff und Holz und früher – ein Überzeugungstäter, der gegenüber dem Ticket-Magazin auch weiterhin bekannte: „Ich will kein Kosmopolit sein. Ich glaube an den Staub, an den Schlamm, an die Tradition der Provinz.“

Schlamm und Provinz gibt es eine Menge in Nikolai Gogols Roman „Die toten Seelen“, der Mitte des letzten Jahrhunderts entstand. Eine dämonische Groteske, in der der arme Adlige Tschitschikow Grundbesitzern bereits gestorbene Bauern abkaufen will, deren Namen auf ihren Listen noch verzeichnet sind und für die sie Steuern bezahlen müssen. Ein Seelenhandel zur Entlastung der einen, wie zum Glück des anderen, der als Bauernbesitzer einen Staatskredit bekommt. Etwas pietätlos kommt einem das heute vielleicht vor, aber kaum so unmoralisch wie die Umstände, unter denen die lebenden Bauern von ihren frömmlerischen Besitzern gehalten werden.

Gleichwohl inszeniert Woron den Text in der Bearbeitung von Martin Pohl als eine Art Teufelspakt. Da wird das Licht ganz weiß, und die Bauern starren stumm aus ihren Verschlägen, wenn Peter- René Lüdicke als Tschitschikow sein Anliegen vorträgt, als würde hier Gott versucht. In der Volksbühne! Woron hat die Bühne selbst gebaut. Gestaffelte Bretterverschläge, die die Gesellschaftspyramide des zaristischen Rußlands skizzieren, mit dem Statthalter ganz oben, unter einem Krippendach mit rotem Stern und Fähnchen. „Tempel des einsamen Erinnerns“ steht auf der einen Seite des drehbaren Gebildes, „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ auf einer anderen. Schon auf den ersten Blick drängt Zitatpop ins Kreaturentheater, sollen aus dem Zarismus Kommunismus und die Folgen geboren werden, mit einem rotgoldenen Vorhang voller Hammer und Sichel, dem Fußballdreß „Dynamo Kiew“, in dem Tschitschikow zu Anfang von allen umsorgt wird und der Rede vom „Neuen Menschen“ am Ende, wenn er vor der langen Tafel steht, an der nur Puppen sitzen und dann langsam abgeht.

Dazwischen aber entfaltet sich jede Menge Woronscher Typenstadl, mal handfest mit Klaus Mertens oder Rosemarie Bärhold von der Volksbühne, mal marionettenhaft mit Wicki Kalaitzi oder Danuta Kisiel vom Teatr Kreatur. Als folkloristisches Rollkommando wird eine Armeleutemannschaft aus Dienstmädchen, Seemann, Soldat und Idiot zur Argumentationshilfe herangezogen, Woronsche Objekte wie ein halbverwestes Pferd kreisen zur Musik von Stoklosa, ein Conferencier tobt im Orang-Utan-Kostüm auf einem Motorrad durchs Spiel, im Beiwagen Peter-René Lüdicke als Libero zwischen Nostalgie und Postmoderne.

Immer wieder Überzeugungsarbeit in Sachen tote Seelen leistend, grimassiert und krächzt dieser Tschitschikow, strampelt und turnt, erst verlegen, dann immer dreister kichernd – ein Jerry Lewis vom Rosa-Luxemburg-Platz. Sich durch die Woronwelt tastend wie durch eine Geisterbahn, entlarvt er die Sozialismuszitate als Säbelrasseln und kittet die auseinanderfallende Inszenierung – als Schaubuden-Event.

Heute, 3. und 7.1., 19.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen