Überall Leute

Kleiner Vorgeschmack auf die Jahrtausendwendefeier in Berlin: 400.000 Menschen versammelten sich in der Silvesternacht rund um das Brandenburger Tor. Dabei war  ■ Detlef Kuhlbrodt

Silvester ist brutal laut in Berlin, grad in Kreuzberg. Schon am Nachmittag wird man von Snipern in Kindesalter bedroht, die einem mit ernstem Gesicht Chinaböller vor die Füße werfen. Und wenn man um Mitternacht ans Fenster tritt, versucht einen die ortsansässige Problemjugend abzuschießen. Fensterscheiben gehen oft zu Bruch. Besonders beliebt in den letzten Jahren sind Leuchtpistolen. Manche der Jugendlichen nehmen gleich zwei, schießen beidhändig auf ihre Feinde und inszenieren bis vier Uhr morgens Bürgerkriegstheater auf den Straßen. – Normalerweise geht man als Kreuzberger um Mitternacht zum Kreuzberg. Da sind die Leute nett, beschießen einander nur selten, und man hat einen schönen Blick weit über die Stadt.

Die von Sat.1 präsentierte zentrale Berliner Silvesterparty am Brandenburger Tor wirkte schon im Vorfeld eher abstoßend. Seit Tagen wurde im Fernsehen geworben; Live-Kameras lieferten Vorberichte von der Generalprobe zur Jahrtausendwendefeier, die Straßen drumherum waren gesperrt. Alles ein ziemlicher Unsinn also. Zwar würden sich alle Bevölkerungsschichten am Brandenburger Tor versammeln, doch eben nur der unsympathischste Teil aller Gruppen, hatte mich Helmut Höge zuvor gewarnt. Jedoch habe ich im letzten Jahr recht wenig vom Feuerwerk mitgekriegt und war schon aus diesem Grund interessiert.

Schon früh am Abend strömten also die Massen zum Brandenburger Tor. Den ganzen Tag über hatte es im Rundfunk und Fernsehen geheißen, man würde sowieso nicht zum Zentrum der Feier kommen. Das stimmte allerdings nicht, auch wenn die Polizei immer wieder über Lautsprecher durchgab, daß der Pariser Platz auf der Ostseite des Tores total überfüllt sei und man nicht zum Tor gehen dürfe, das sich mit Absperrgittern, Ordnern und behelmten Polizisten schützte.

Lustigerweise quetschten sich aber die Leute auf der Westseite. Als ob ihnen durch die ständigen Lautsprecherdurchsagen und das Gedränge bedeutet worden war, daß es auf der Ostseite, von der man, wenn man einmal da war, auch nicht wieder zurückgelassen wurde, besonders toll sein müsse. Ordner und Polizisten sorgten jedenfalls für eine Trennung der Stadt in den Grenzen von 1989. Besinnlichkeit kam nicht so recht auf.

Es war kalt. Man sah überall Leute. Berliner, Touristen; einige hatten lustige Hüte auf, manche warfen mit ihren Böllern auf andere, viele telefonierten mit ihren Handys oder videografierten das alles oder hielten ihren Freund zu zweit fest, um ihm Schnaps aus dem Flachmann reinzuschütten. Das erinnerte mich an diverse Silvesterabendessen, bei denen haltlose Haschsüchtige, viel zuviel Gift in den Joint getan hatten und sich dann hämisch darüber freuten, wenn Sonntagskiffer und Warmduscher superbleich wurden im Gesicht und erstmal zwei Stunden Ruhe war.

Sat.1 präsentierte Berlinsilvester: Irgendwo sang man Sachen wie: „Nana nananana hey hey hey goodbye“ oder auch, wie ein paar Glatzen: „Humbahumba tätärä“. Viele Mädchen hatten lolarenntgefärbte Haare oder sangen als Touristinnenchor. DJ Bobo machte seine patentierten DJ-Bobo-Tanzschritte und war irgendwie schrecklich. Ab und an flogen Raketen auf die Bühne. Manche versuchten auch die Lautsprecher zu treffen.

Das Feuerwerk war eher enttäuschend; zum einen, weil man beim Gucken ständig von Kunstlichtscheinwerfern angestrahlt wurde; zum anderen dauerte es kaum zehn Minuten. Wenn man das alles in fünf Minuten abgefeuert hätte, wäre es schöner gewesen, fand auch eine nette Berlinerin, die mir dann zum neuen Jahr auf die Schulter klopfte. 1999: tolle Leistung. Dann gingen alle wieder weg. In Berlin schauten 400.000 Leute dem deutschen Zentralfeuerwerk zu; in Sydney waren es ein paar Stunden zuvor eine Million gewesen. Ätschibätsch!!