: Never ending Leidenschaft
■ Die schlechte Nachricht: Das Teamtheater hat eine gelungene Fassung von Goethes „Wahlverwandtschaften“ in Bremen gezeigt / Die gute Nachricht: Es kommt wieder
„Zum Glück“, erklärte Peter Zadek kürzlich in der Zeit, „braucht man zum Theaterspielen nicht viel mehr als Phantasie.“ Der Regie-Altmeister schrieb diesen Satz in ein trak-tathaftes Gejammer über die Theaterkritik und vergaß wegen des Themas wohl einen Zusatz: Man muß auch verstehen, die Einfälle seiner Phantasie zu dosieren. Wie's geht, zeigte die keineswegs altmeisterliche, aber dafür reichlich phantasiebegabte Regisseurin Silvia Armbruster am Wochenende im Theater am Leibnizplatz mit ihrer Inszenierung von Goethes tragischem Liebesmobile „Wahlverwandtschaften“.
Die Schäden der humanistischen Bildung müssen sich in Bremen in Grenzen halten. Oder es ist andererseits die Neugier auf die Entdeckung gewesen, ob sich hinter Goethes 1809 veröffentlichtem Roman nicht doch mehr verbirgt als die viel bekalauerten „Qualverwandtschaften“. Fast ausverkauft jedenfalls war das Theater am Leibnizplatz für das Gastspiel des Münchener „Teamtheaters“, dem die Bühne der Bremer Shakespeare Company nicht ganz unbekannt ist: Ensemblemitglied Christian Kaiser spielte jahrelang selbst am Leibnizplatz und Regisseurin Silvia Armbruster inszenierte dort die Produktionen „Viel Lärm um nichts“ sowie „Venus und Adonis“.
Es sind der naturwissenschaftliche Blick auf die Menschen und die Never ending story eigener Leidenschaften, aus denen der 60jährige Goethe sein Liebesviereck konstruierte. So ist schon der Titel „Wahlverwandtschaft“ der eingedeutschte Begriff des chemischen Phänomens der „attractio electiva“: So, wie demnach in der Chemie Körper das Bestreben zur Vereinigung haben, obwohl sie schon mit anderen verbunden sind, so kombiniert Goethe sein Figurenquartett. In einem pittoresken Landhaus mit ausbaufähiger Parkanlage und vielen stillen Winkeln treffen aufeinander: Charlotte, ihr Gatte Eduard, dessen Freund Otto sowie Charlottes Pflegetochter Ottilie.
Anders als in der 1975 entstandenen DEFA-Verfilmung Siegfried Kühns, in der Hilmar Thate den Eduard spielte, hält Silvia Armbruster die naturwissenschaftliche Metaphorik für weitgehend verzichtbar. In ihrer den Schluß verändernden Bühnenfassung und mit Musik zwischen Michael Nyman, Maurice Ravel und Melanie unterlegten Inszenierung konzentriert sie sich fast völlig auf die hier wesentliche Geschichte des Partnertauschs, in der Eduard schnell seinen Gefallen an der jungen Ottilie (und umgekehrt) findet und sich nach anfänglichem Zögern auch Charlotte und Otto bei einer Bootsfahrt näherkommen.
Auf einem mulchbedeckten Karree, das sich durch wenig Requisiten und viel Schauspiel mal in einen picknickschönen Garten, dann in einen See und schließlich noch in ein Schlachtfeld verwandelt (Bühne: Barbara Kaesbohrer), erspielt sich ein bemerkenswert gutes Ensemble den Reigen der Gefühle. Annette Wunsch etwa spielt die Charlotte überzeugend ladylike. Hans Piersbergen skizziert den Eduard als zwischen Übermut und Egozentrik pendelnden Dandy. Dagegen gibt Christian Kaiser den Otto großkariert wie Sherlock Holmes' Watson und so wesensschüchtern wie vorsichtsbieder. Und Julia Jaschke stattet die Ottilie mit allem vorhandenen jugendlichen Ungestüm und Temperament aus.
Ohne Goethes gewiß noch um einige Zugeständnisse an den Zeitgeschmack zu erleichterndes Mobile plump zu modernisieren, entdecken Silvia Armbruster und Ensemble in ihrer Theaterfassung doch das Moderne im Roman. Erst verwandeln die vier AkteurInnen das Theater mit wohldosierter spielerischer Phantasie, etwas Akrobatik und einem Strauß Rosen in einen Park und zaubern federleicht ganz viel vom Ideal der Aufklärung auf die Bühne. Und dann erspielen sie sich vor diesem Hintergrund das Kernthema vom Pro und Contra, von Vernunft und Gefühl in Sachen Partnertausch, das Goethe schon vor fast 200 Jahren immerhin als Möglichkeit diskutierte. Der Dichter allerdings mußte seine Figuren wohl am Ende schwer dafür bestrafen. Silvia Armbruster dagegen läßt am Schluß eines zweistündigen, ziemlich heutigen Hin- und Hergerissenseins der Figuren die vorgeblich aufgeschlossenste, die jüngste also, aus dem schon ausgemachten Deal ausreißen. Heute fressen eben die Kinder die Revolution. Christoph Köster
Weitere Aufführungen am 6. und 7. Februar um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen