: Die epochale Randbemerkung
■ Günter Schabowski, damals Politbüromitglied der SED, wurde als der Mann bekannt, der den DDR-Bürgern Reisefreiheit und damit den Fall der Mauer ankündigte. Schabowski wird heute siebzig
Vor fast zehn Jahren, am 9. November 1989 sorgte das damalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski für eine Weltsensation: Auf einer Pressekonferenz verkündete der Diplom-Journalist die Öffnung der Berliner Mauer ganz beiläufig, so daß manche Beobachter eine Intrige oder gar einen Versprecher vermuteten. Schabowski sagte später dazu: „Niemand konnte sich die Konsequenz der Maueröffnung vorstellen.“ Am heutigen Montag feiert Günter Schabowski seinen 70. Geburtstag.
Schabowski war unter den SED-Oberen derjenige, der versuchte, die Wende aktiv mitzugestalten. Als erster aus der Parteispitze empfing er Abgesandte des Neuen Forums. Er stritt sich öffentlich mit aufgebrachten Demonstranten vor dem Ost-Berliner Rathaus und versuchte auf der großen Demonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz gegen die Pfiffe von Hunderttausenden anzureden. Doch der rasante Wandel führte dazu, daß auch er Amt und Würden verlor. Unter dem Druck der Parteibasis wurde Schabowski im Januar 1990 aus der SED/PDS ausgeschlossen.
Zulange hatte er in herausgehobenen Stellungen die Herrschaft der SED mitgetragen: Als stellvertretender (1971–1978) und Chefredakteur des SED-Organs Neues Deutschland (1978–1985), als ZK- Mitglied (seit 1981), als Politbüromitglied (seit 1984) hatte er alles mitgemacht und nach außen auch gerechtfertigt. Persönlich hatte er nach der Wende schärfer als alle anderen SED-Spitzenfunktionäre mit seiner Vergangenheit gebrochen. Zuletzt arbeitete er als Layouter bei dem Anzeigenblatt Heimat-Nachrichten im hessischen Bebra. Aufgrund seiner zu DDR- Zeiten herausgehobenen politischen Stellung hatte er in den neuen Ländern keine berufliche Perspektive gesehen.
Im Januar 1995 wurde Schabowski mit sechs weiteren Mitgliedern des SED-Politbüros wegen der Toten an der Mauer angeklagt. Am 25. August 1997 verurteilte die 27. Große Strafkammer Schabowski wegen Totschlags in drei Fällen zu drei Jahren Haft. Nach Überzeugung der Richter gehörte auch Schabowski zu den Verantwortlichen für das menschenverachtende Grenzregime zwischen Ost und West.
Im Politbüroprozeß und in mehreren Publikationen distanzierte sich Schabowski nach der Wende öffentlich vom alten Kurs der DDR-Regierung. Nichts habe rechtfertigen können, daß auch nur ein einziger Flüchtling erschossen wurde, sagte er. Schabowski räumte zwar eine moralische Mitschuld ein und bat die Opfer und deren Angehörige um Verzeihung, hält sich juristisch aber für unschuldig. Von den Toten habe er jeweils zunächst nur aus der West-Presse erfahren. Er habe sich einreden können, die Grenzsoldaten hätten aus Notwehr geschosssen. Gegen das Urteil in Zusammenhang mit den Mauertoten legte er Revision ein. Solange ist er von der Haft verschont. Der Bundesgerichtshof wird voraussichtlich in diesem Jahr darüber entscheiden. dpa
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