: Kaputte Körperpanzer
„Schule und Revolte“: Das Metropolis zeigt eine Reihe mit Klassikern gegen das Stillstehen ■ Von Tobias Nagl
Die pädagogische Maschine: In Reih und Glied stehen, sich nach Namen, Alter, Grad der Delinquenz und Wissen klassifizieren lassen, Hände über die Decke und auf dem Tisch, das Klo für den Aufseher anwärmen, den Schwanz von der Schwester auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen, in 30 Sekunden ist das Licht aus – aber gesehen wirst du auch dann noch. Das macht 30 Stockschläge, außerdem sind deine Haare zu lang, und geflüstert wird hier nicht. Und alle verstehen dich besser als du dich selbst. Eine Macht, die durch beständige Dressur und Beobachtung des Zugriffs auf die Seelen nicht mehr bedarf, weil sie den Körper längst in ein Gefängnis aller Innerlichkeiten verwandelt hat.
Zu den Einschließungsmilieus der modernen Disziplinargesellschaft zählte Michel Foucault seinerzeit die Fabriken, die Kasernen, die Spitäler und eben die Schulen. Allesamt glichen sie in ihren reglementierten Zeit- und Bewegungsökonomien Gefängnissen. Und alle waren sie damals von der Revolte erfaßt worden, die man gemein mit '68 verbindet. Zu den wichtigsten Filmen über den antiautoritären Aufstand gegen die Körperpanzer gehört Lindsay Andersons If, dessen Politik eine ganz einfache Gleichung zugrunde liegt. 15 Guineas Schulgeld pro Woche kostet der Besuch des altehrwürdigen Internats, erklärt einer der bigotten Lehrer dem aufmüpfigen Travis (Malcolm McDowell). 15 Guines ist aber auch der Preis, den die Unterbringung eines jugendlichen Kriminellen kostet.
Travis ist wie alle anderen aus den Ferien in eine Erziehungsanstalt zurückgekehrt, in der allein ein Che-Poster von der Gegenwart kündet. Nach wie vor herrscht die Prügelstrafe, und den älteren „whips“ unterstehen die jungen „scums“ als Haussklaven. Travis hat sich einen Bart stehen lassen, ein Mädchen getroffen und trägt einen schwarzen Schal tief ins Gesicht gezogen. Vor dem Spiegel sagt er Sätze wie „mein Gesicht ist ein ewiges Rätsel für mich“. Er und seine beiden Freunde Wallace und Travis sind in der Pubertät, und ihre Gespräche drehen sich um Sex und Tod. All das müßte nicht weiter interessieren, wären die Konflikte nicht programmiert. Doch um deren Entwicklung zu erzählen, läßt sich Andersons in Schwarzweiß und Farbe gedrehter If dankenswerterweise Zeit. Was aus der quälenden Spannung von verinnerlichter Aggression und ritualisierter Abrichtung so zunächst entsteht, ist eine die sozialrealistische Tradition des britischen Films mit surrealen Momenten durchsetzende Studie des ganz normalen Horrors, ein Jugendlicher zu sein in einer Welt des „Überwachens und Strafens“.
Irgendwann jedoch schlägt das verzweifelte Aufbegehren der drei um in einen Schwur auf Freiheit, Widerstand und den Tod der Unterdrücker. „Wer einmal schießt im richtigen Moment, kann die Welt für immer verändern“, schließt Travis den Ruf zu den Waffen. Mit scharfer Munition verschanzen sie sich auf dem Dach des Internats und schießen wahllos in die Menge. Darin folgen sie André Bretons Definition des surrealistischen Akts – genauso aber Jean Vigos anarchistischem Klassiker Zéro de conduite, der bereits in den Dreißigern mit allerlei charmanten Tricks den poetisch-gewaltsamen Aufstand gegen die Lehrerwelt vorexerzierte.
Peter Zadeks antiautoritärer Ich bin ein Elefant, Madame über die Auseinandersetzungen an einem Bremer Gymnasium hingegen ist am stärksten von damaliger Anti-Establishment-Rhetorik durchsetzt. Heute fasziniert diese von Velvet Underground unterlegte bunte Montage-Orgie jedoch gerade da, wo sie genauso 60's-Pop ist, wie sie der Apo huldigt. Das macht filmisch alles so viel Spaß, daß es eigentlich von Godard sein könnte, wäre da nicht ein junger Ilja Richter zu sehen. So groovy war einst die Revolution – und der deutsche Film.
Ich bin ein Elefant, Madame: morgen, 17 Uhr; Sa, 9., 17 Uhr; So, 10. Januar, 21.15 Uhr. Zéro de conduite: Mi, 13., 21.15 Uhr; Do, 14. Januar, 17 Uhr. If: Do, 28., 17 Uhr; Fr, 29., 17 Uhr; Sa, 30., 21.15 Uhr; So, 31. Januar, 19 Uhr, Metropolis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen