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Gespräche unter Waffenschutz

Heute beginnen in Kolumbien die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der größten Guerilla-Organisation FARC. Außerhalb der FARC–Stammgebiete wissen die Menschen nur wenig über den Konflikt  ■ Aus San Vincente Jens Holst

Kurvenreich zieht sich die staubige Schotterpiste zwischen eingezäunten Weiden und kleinen Wäldchen durch die Landschaft. Auf einer Anhöhe stoppt ein junger Mann in olivgrüner Uniform und Gummistiefeln den Wagen. Alle Fahrzeuge werden angehalten, die Insassen befragt, wo sie herkommen und wohin sie wollen. Mit den meisten hält er ein kurzes Schwätzchen.

Nebenan spielt eine junge Guerillera Schach mit ihren männlichen Kollegen. Die automatischen Gewehre blinken im einfallenden Sonnenlicht. Sogar ein Haustier gibt es in dem Idyll am Rande des kolumbianischen Bürgerkriegs: Ein grüngelber Papagei hockt auf der Schulter von Comandante Hernán, dem Anführer der Gruppe.

Dieser Kontrollposten, zwei Stunden von San Vicente de Caguán entfernt, kennzeichnete bis vor wenigen Tagen das Herrschaftsgebiet der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Eigentlich sollte die größte Guerilla-Organisation des südamerikanischen Landes schon seit zwei Monaten bis in das Provinzstädtchen im Norden des Departments Caquetá vorgedrungen sein. Denn am 7. November trat das Abkommen über die fünf Kommunen umfassende Entspannungszone in einem dünn besiedelten Gebiet östlich der Andenkordilleren in Kraft. Als Voraussetzung für Friedensverhandlungen hatte die Regierung von Präsident Andrés Pastrana der Guerilla für ein Vierteljahr uneingeschränkte Bewegungsfreiheit in einem Gebiet von der Größe der Schweiz zugebilligt.

Doch bis Weihnachten waren die Guerilleros in ihren grünen Tarnanzügen nur in Mesetas, La Uribe, Vista Hermosa und La Macarena zu sehen. In San Vicente de Caguán traten sie nur in Zivilkleidung auf. Für die FARC waren die Bedingungen für den ungefährdeten Einzug ihrer Einheiten nicht erfüllt. Stein des Anstoßes waren 130 angeblich unbewaffnete Rekruten in einer fünf Kilometer entfernten Kaserne. Offenbar hatte sich die Armee dem Willen der Pastrana- Regierung widersetzt, den Standort aufzugeben. Die Guerilla argwöhnte geheimdienstliche Aktivitäten und befürchtete Anschläge auf ihre Anführer. Schließlich gaben Armee und Zentralregierung nach und zogen auch die restlichen Soldaten ab. Heute beginnen die Friedensgespräche mit einem Treffen zwischen Präsident Andrés Pastrana und FARC-Chef Manuel Marulanda.

Mit der Aufgabe des ausgedehnten Gebietes im westlichen Amazonasbecken erkennt die kolumbianische Regierung die militärische und politische Stärke der mächtigsten und ältesten revolutionären Bewegung des Landes an. Weit mehr als die zweitstärkste Guerilla-Organisation ELN (Nationales Befreiungsheer) kontrollieren die FARC erhebliche Teile des Landes. Abgesehen von einzelnen Städten hat die auf 15.000 bis 20.000 Mitglieder geschätzte Guerilla-Armee im gesamten südlichen Osten Kolumbiens das Sagen. Nach der letzten großen Niederlage 1990, als die Armee durch Boden- und Luftangriffe ihr Hauptquartier in Uribe am Osthang der Anden dem Erdboden gleichmachte, haben die FARC an militärischer Schlagkraft gewonnen. Seit dem erfolgreichen Angriff auf den Militärposten von Las Delicias an der Grenze der Departments Caquetá und Putumayo im August 1996, die übrigens von einem der drei Unterhändler bei den Gesprächen in San Vicente, Comandante Fabián Ramirez, geleitet wurde, gingen die Fuerzas Revolucionarias zunehmend in die Offensive.

Die bewaffneten Aktionen außerhalb der Entspannungszone sollen auch während der Verhandlungen in San Vicente unverändert weitergehen, der militärische Druck dürfe nicht nachlassen. „Jetzt verhandeln sie mit uns, weil wir die Waffen haben“, begründet Comandante Joaquin Gómez die Haltung seiner Organisation, „und später sind diese Waffen die Garantie dafür, daß die Vereinbarungen eingehalten werden“. Im Land wird diese Haltung der FARC häufig als Beweis für ihre Friedensunwilligkeit und Aggressivität aufgenommen. Und die Medien schüren Ängste der Bevölkerung. Leonel Narváez, der Vikar in San Vicente und Vorsitzender des örtlichen Friedenskomitees, hat keine Zweifel am Friedenswillen der Aufständischen: „Es gibt zwar eine Spaltung in der Frage nach Krieg oder Frieden. Aber Manuel Marulanda oder die Comandantes Raúl, Fabián und Joaquin, die Verantwortlichen für die Entspannungszone, repräsentieren eindeutig pazifistische Strömungen.“

Einer von ihnen, der 51jährige Lebensmitteltechniker Joaquin Gómez, Chef der Südfront der FARC, bestreitet jegliche Dissonanzen in der monolithischen Guerilla-Organisation.“ Seit unserer Gründung kämpfen wir für den Frieden, und zwar für Frieden mit sozialer Gerechtigkeit.“ Auf die Frage, was das konkret bedeutet, verweist er auf ein Zehnpunktepapier für eine pluralistische Regierung von 1993: „An diesen Forderungen hat sich im wesentlichen nichts geändert. Wir sind eine Bewegung mit tiefgreifenden politischen Motiven. Wir vertreten die Interessen der großen Mehrheit der Besitz- und Machtlosen.“

Die FARC-Forderungen umfassen eine Erhöhung der Sozialausgaben, ein gerechteres Steuersystem, eine Landreform, Staatsmonopol bei Bodenschätzen, die Beschränkung der Armeeaufgaben auf die Verteidigung der Landesgrenzen und die Ausgliederung der Polizei aus der Armee. „Das muß bekannt werden“, erklärt der Comandante, „das Land ist sich des wirklichen Ausmaßes des Konflikts nicht bewußt.“

Von den politischen Forderungen der Aufständischen und den Ursachen des fast vierzig Jahre währenden Bürgerkriegs ist in Kolumbien wenig bekannt. Die größte lateinamerikanische Guerilla ist in ihren Stammgebieten zwar fest verankert, doch in den Städten und den nicht betroffenen Landesteilen begreift man wenig von dem bewaffneten Konflikt und seinen AkteurInnen. Die FARC haben zudem ein Imageproblem. Bei vielen KolumbianerInnen hat sich das Bild einer gewaltbereiten Guerilla festgesetzt. Pastrana dagegen redet landauf, landab vom Frieden in Kolumbien. Seine Absicht dürfte es sein, den Konflikt herunterzukochen, um in Kolumbien ein neoliberales Wirtschaftsmodell im Sinne der Weltbankpolitik durchsetzbar zu machen. Ein solcher Frieden hat aber wenig mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.

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