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Immer wieder Liebeslieder

Die einen scheißen auf die Hooklines, die anderen sporten Gras und Bier: Im Vorprogramm von The Pharcyde wollen Die Firma und Spezializtz zeigen, wie flüssig die einheimischen Reime und Beats inzwischen rollen  ■ Von Thomas Winkler

Deutscher HipHop ist inzwischen so weit, daß er Schwierigkeiten hat, unter einen Hut zu bringen, was er alles auf einmal will. Die Firma fordert „Scheiß auf die Hookline“ und kämpft so tapfer gegen die eh nicht mehr aufzuhaltende Mainstreamisierung, hat aber auf dem Debütalbum „Spiel des Lebens/Spiel des Todes“ doch selbst nur wenige Songs zuvor noch einen der eingängigsten HipHop-Songs des vergangenen Jahres abgeliefert. „Die Eine“ müßte verdientermaßen eigentlich gleich neben „Liebeslied“ von den Absoluten Beginnern, „Susanne zur Freiheit“ von Fischmob und so ziemlich allem vom Fetten Brot stehen und mit denen zusammen beweisen, daß HipHop auch hierzulande nun endgültig im breitwandigen Pop angekommen ist.

Doch Die Firma ist trotz locker- sommerlicher Samples und absolut unverdächtiger Raps über das nun mal immer noch unverzichtbare Thema Liebe im Underground steckengeblieben. Als würde den drei Protagonisten wie eine ansteckende Krankheit immer noch die eigene Vergangenheit im Weg stehen. Als würde man nicht davon loskommen, daß man ein gutes Jahrzehnt lang zwar HipHop hierzulande mitentwickelt hat, aber nie so richtig erfolgreich wurde.

Produzent und DJ Fader Gladiator war neben vielen anderen Projekten beim BlitzMob, bei MC Rene und dem Äi-Tiem für Beats verantwortlich, die beiden Rapper Tatwaffe und Def Benski waren früher als Das Duale System zugange und fehlten mit ihren Gastraps auf nur wenigen der wichtigen Platten. Das bekamen sie nun zurück, die Gästeliste auf der eigenen Platte wurde reichlich lang, darunter auch einige Mitstreiter aus den frühen Tagen wie Torch von Advanced Chemistry.

Doch jene steifen Anfänge sind bei der Firma nicht einmal mehr zu erahnen. Aus jedem Beat, aus jedem Wort spricht die neue Selbstverständlichkeit. Neben unverzichtbaren Ritualen, wie die Reinheit von HipHop und die eigene Einzigartigkeit beschwören zu müssen, können sie genauso über ihre Utopien, Träume und die letzte enttäuschte Liebe rappen. Und wenn der Wu-Tang Clan zwischen paranoiden Verschwörungstheorien und Sci-Fi-Fantum mäandert, samplet Die Firma fröhlich aus „Star Wars“ und B-Pictures, ohne mehr als einen Witz zu wollen. Schließlich ist Köln nicht Staten Island.

Der Grund, warum statt der Firma eher die Spezializtz im deutschen Musik-TV rotieren, ist denn vor allem wohl die Plattenfirma. Dank eines Major-Labels und des nötigen Kleingelds für einen einschlägigen Video-Clip für „Afrokalypse“ konnte das Berliner Duo zwar noch nicht die ganz hohen Chartsnotierungen einfahren, aber vielleicht verortet sich mit ihnen auch die Hauptstadt endlich einmal im neuen HipHop-Land Deutschland.

Kein Wunder das, schließlich sind Oliver Harris und Dean Dawson nichts weniger als der feuchte Traum eines jeden Plattenfirmenmanagers: Die beiden Deutsch- Afroamerikaner tragen nicht nur gewaltige Afros spazieren, sondern sie können auf eine kleinkriminelle Vergangenheit genauso verweisen, wie sie auch sonst einen Batzen für das Genre nützliche Klischees sporten. Durchs Zentrum ihres Egoversums schwirren Gras, Beck's Bier und Frauen, die bei ihnen allerdings Babsies heißen und von den Spezializtz gerne „von hinten beglückt“ werden. Die glauben dann, „Du treibst es mit nem Pferd“, aber das ist leider nicht sonderlich ironisch gemeint. Ansonsten werden noch ausführlich die eigenen Reim-Skillz gelobt, das war es dann auch schon so ziemlich an Themen. Der Sound ist zwar meist hübsch spartanisch, aber die Beats leider oft ein wenig hektisch. Erst wenn sie langsamer werden, kann sich die Atmosphäre der bewußt krank klingenden Samples angemessen entfalten, und auch der Reimfluß von Harris und Dawson wird entspannter. Dann sind sie trotz Dauerkifferei zwar immer noch meilenweit von Cypress Hill entfernt, aber als zusätzliche DeutschHop-Facette durchaus akzeptabel.

Heute ab 20 Uhr im SO 36, Oranienstr. 190, Kreuzberg

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