: Jenseits der Knibbelbildchen
■ Triumph des Karteikastens: Ein Kölner Unternehmer will mit Karten aus der "Lindenstraße" das Medium Sammelbild endlich auch in Deutschland etablieren
Wer Klausi Beimer bekommt, den überkommt das große Ekeln: Soooo furchtbar kann der Hase aussehen? Das Porträtfoto von Iffi ist ähnlich gräßlich: überpuderte Pickel, nuttiger Lippenstift bis fast zum Kinn runter ... das Grauen auf Hochglanzkärtchen!
Die Firma Webercard aus Köln hat keine Gnade walten lassen bei der Bildauswahl für ihre Sammlerkarten-Edition „Munich 1996 bis 1998“ zum Thema „Lindenstraße“. Auf 136 Sammelkärtchen präsentiert sie Hunderte von Szenenfotos aus der einzig wahren Serie Deutschlands. Da wird jeder Mitesser, jedes Barthaar und jeder Zahnbelag schonungslos sichtbar gemacht, und endlich weiß der Betrachter wirklich: Ja, Beate Sarikakis hat einen leichten Oberlippenflaum, und die Bewohner unserer Lieblingsserie sind eben wahrhaftig Menschen wie du und ich und keine Familie von Models wie die Typen aus „Verbotene Liebe“. Andreas Weber (Jg. 61 und selbst bekennender „Lindenstraße“- Fan), der Mitte des Jahres den kleinen Webercard-Verlag gegründet hat, lacht: „Daily-Soaps wie ,Verbotene Liebe‘ sind für unsere Karten ohnehin nicht gut geeignet: Alle Fotos würden irgendwie gleich aussehen. Das macht ja keinen Sinn für den Sammler.“
Die „Lindenstraße“ biete sich wegen ihrer „Motivvielfalt“ für das Medium Sammlerkarte an. Motivvielfalt? In der „Lindenstraße“? Man mag es kaum glauben.
Wenn man die Kärtchen dann aber vor sich sieht, glaubt man es doch ein wenig: Berta und Hajo in Leipzig, Olli Klatt mit Lisa und diversen Prostituierten auf dem Straßenstrich, die Lesben Tanja und Sonia knutschend auf einer Sommerwiese, Pat, wie sie gerade den kleinen Tiger-Tom überfahren hat... Viele der Fotos seien bisher unveröffentlicht, wirbt Webers Firma. Der wahre Fan dürfte tatsächlich ins Schwärmen kommen.
Das sollte er auch, denn 13 Kärtchen im Format 9 x 6 cm kosten stolze 4,80 Mark. Postergröße ist das ja nun nicht gerade, und wer die 136 Stück komplett haben will, muß eine Menge der 13er Päckchen kaufen, denn „Doppelte“ sind kaum zu vermeiden. Aber gerade im „doppelt haben“ liegt ja auch der Reiz für den Fan: Die Firma Webercards hat extra eine Sammler-Hotline geschaltet und eine Homepage im Internet eingerichtet (www.webercard.de).
Überhaupt war Deutschland bisher nicht gerade das Mekka der Sammelkarten. Die „Trading Cards“, wie sie offiziell heißen, sind vor allem in den USA populär geworden, und dort sind sie nicht nur bei Fernsehthemen, sondern auch und vor allem in Sachen Comic oder Sport begehrte Tauschobjekte. Wer sich nun an die Zeiten der läppischen „Biene Maja“- Stickerheftchen oder der Cola- Knibbelbilder erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch, muß sich aber ein wenig umorientieren: So billig gemacht sind die Trading Cards nicht. Ihr hoher Preis will sich durch Qualität rechtfertigen: Die Karten sind beidseitig bedruckt, aus Karton, der fast wie Plastik anmutet. „Acht gestochen scharfe Fotos auf einer Kartenseite!“; „durchaus fundierte Textinformationen!“ – da könne doch niemand meckern, meint Herr Weber.
Anders als in den Büchern zur Serie kann man die Karten zudem nach eigenem Gutdünken anordnen: Erich Schillers Seitensprung mit W. Snyder ist somit endlich trennbar vom Streit, den Ehefrau Helga mit Sohn Klaus ausficht. Triumph des Karteikastens!
„Wenn das Projekt ein Erfolg wird, wollen wir die Trading Cards auch bald zu anderen Themen herausbringen“, hofft Andreas Weber. Eine zweite „Lindenstraße“- Edition würde er auch gern veröffentlichen. Aber vielleicht wird das doch etwas teuer? Um die Sammlung komplett zu haben, braucht es jetzt schon mindestens elf Päcken für insgesamt rund 52 Mark. Dafür bekommt er immerhin 16.000 Wörter Text und 400 Bilder. Wenn er das braucht. Frank M. Ziegler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen